Vom Alltagsprodukt zur Design-Edition

Das Phänomen Chlorodont

Es war schon in den zwanziger und dreißiger Jahren von sprichwörtlicher Popularität und blieb dies auch in Deutschland Ost wie West nach dem Kriege: Das „Chlorodont-Lächeln“. Heute noch steht der Begriff für plakativ demonstrierte Lebensfreude – obwohl die einstmals so berühmte Zahnpasta längst vom Markt ist. Oder richtiger: war. Denn sie schickt sich gerade zum Come-back an, nachdem ihr Name Mitte der Siebziger in der Bundesrepublik und zehn Jahre später auch in der DDR aus den Drogerieregalen verschwand. Seit 1995 gibt es die Tube im blau-grün-weißen Outfit wieder, behutsam redesignt und nunmehr produziert als „Sonderedition“ an ihrem traditionellen Herstellungsort Dresden, wo sie vor genau 90 Jahren zum ersten Mal das Licht der Welt erblickte.

Wulf Schendekehl (Nomen ist hier einmal nicht gleich Omen!), heutiger Geschäftsführer der Dental-Kosmetik GmbH, vormals VEB Elbe-Chemie, vormals Leo-Werke, sieht die Chancen für einen größeren Markterfolg des auch von der Rezeptur her neuen Chlorodont-Produkts mit zunächst noch verhaltenem Optimismus angesichts des buntschillernden Konkurrenz-Überangebots: „Unsere Zielgruppe ist vor allem der jüngere, designorientierte Verbraucher. Wer Chlorodont noch von früher kennt, kann in seinem Alter heute wahrscheinlich mit keiner Zahnpasta mehr etwas anfangen. Er sammelt wohl eher die legendären Reklameschilder aus den vergangenen Jahrzehnten, die nicht selten schon vierstellige Preise auf dem Kunstmarkt erzielen.“[paycontent]

Emailleschilder, Werbeaufsteller, Plakate, historische Fotos, Filmspots sowie Tuben und Mundwasserflaschen, insgesamt über einhundert Objekte aus der Chlorodont-Geschichte von 1907 an, sind seit gestern in der Sammlung industrielle Gestaltung des Berliner Stadtmuseums im Nordflügel der KulturBrauerei Prenzlauer Berg zu besichtigen – ein Kapitel Alltagskultur, das einst aus dem Bild des öffentlichen Lebens wie der Privatsphäre unter deutschen Dächern nicht wegzudenken war. Neben dem seinerzeit ebenfalls in Dresden residierenden Odol-Unternehmen zählte die Leo-Kosmetik mit ihrem Marken-Hauptartikel Chlorodont, der ersten Zahpasta aus der Tube weltweit, in den frühen Dezennien des 20. Jahrhunderts zu den herausragenden Pionieren moderner Werbestrategien und Vorreitern einer komplexen Firmenkultur in Europa. Den absoluten Höhepunkt in Deutschland erreichte der Chlorodont-Werbefeldzug im Olympiajahr 1936, als sich in Berlin neben U- und S-Bahnen sämtliche Doppelstockbusse mit dem weißen Schriftzug auf blauem Grund präsentierten.

Die Ausstellung in der KulturBrauerei, die Ende Mai nach Heidelberg weiterwandert, stellt sich selbst indes löblicherweise nicht als vordergründige Reklame-Schau dar, sondern verweist deutlich kritisch beispielsweise auch auf propagandistische Willfährigkeiten der Chlorodont-Werbung im Rahmen nationalsozialistischer „Öffentlichkeitsarbeit“. Wobei zuweilen eigentümliche Synchronitäten mit späteren DDR-sozialistischen Beschwörungen zu entdecken sind. Heißt es da in den Dreißigern: „Nur durch gesunde Lebensführung und vernünftige Ernährung bewahrst Du Dir Deine Arbeitskraft – die verläßliche Qualitäts-Zahnpaste ermöglicht es jedem deutschen Arbeiter, seine Zähne bis ins hohe Alter gesund und leistungsfähig zu erhalten“, so klingt das zwanzig Jahre später folgendermaßen: „Zum Aufbau unserer Städte und unserer Wirtschaft gehören stahlharte Menschen mit eisernem Willen. Das große Werk im Rahmen des Fünfjahrplanes wird gelingen, wenn der Einzelne seine ganze Kraft einsetzt. Gesunder Geist und gesunder Körper sind die Voraussetzungen für planmäßige Erfüllung. Für den Menschen unserer Zeit ist Chlorodont unentbehrlich.“

Heute sind es immer noch die Dresdener Nachfolge-Marken aus den achtziger Jahren, die die Dental-Kosmetik GmbH mit ihren Produkten für weiße Zähne schwarze Zahlen schreiben lassen. Auch sie sind in den Vitrinen ausgestellt: die Kinderzahnpasta „Putzi“, nach Aussage des Geschäftsführers nun auch ein Renner in den alten Bundesländern, und die allen einstigen DDR-Bürgern wohlvertrauten Tuben „elkadent“, „el-ce-med“, „Perlodont“ und „Rot-Weiss“. Vom Gestaltungsatelier Designprojekt Dresden gestalterisch und von den Chemikern der Firma konsistenzmäßig in Reih und Glied mit der Westkonkurrenz gebracht, erobern sie mehr und mehr ostdeutsche Spiegelablagen zurück.

 

Chlorodont. Biographie eines deutschen Markenproduktes. Ausstellung in der Sammlung industrielle Gestaltung, Knaackstraße 97, vom 12. März bis zum 19. Mai 1997, mittwochs bis sonntags von 14 bis 21 Uhr. Katalogbuch 29 Mark.

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(Beitrag für „Der Tagesspiegel“, 1997)

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