Günter Schmitt:
Hugo Junkers und seine Flugzeuge
Transpress VEB Verlag für Verkehrswesen
Berlin 1986
224 S., 327 Abb., 16 Farbtafeln, 23 Tabellen
Günter Schmitts, unter Mitarbeit von Angelika und Thomas Hofmann (Dessau) entstandener, Text-Bild-Band über den Technikwissenschaftler, Konstrukteur und Unternehmer Hugo Junkers ist ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Buch. Zunächst ist dies die erste umfassende Würdigung des Lebenswerks jenes Mannes, dessen Name irrtümlich lange Zeit von der Öffentlichkeit gleichgesetzt wurde mit faschistischer Rüstungsproduktion (und fast ausschließlich mit ihr), galt doch beispielsweise in der Nazikriegspropaganda die ,,Tante Ju“, die Ju 52, als exzellente Transportmaschine für riskante Unternehmungen. Daß sie vielmehr ab Anfang der dreißiger Jahre zu den zuverlässigsten und komfortabelsten Zivilluftfahrzeugen der Welt gehörte (Sie steht vereinzelt heute noch in Privatdienst!), wurde überdeckt. Warum die Nazis Junkers und seine Flugzeuge mit ganz besonderem Eifer bedachten, wie sie versuchten, den Erfinder und Unternehmer unter Druck zu setzen und ihn noch im hohen Alter von 75 Jahren schikanierten und demütigten, darüber gibt das Buch, unter anderem, Auskunft.[paycontent]
Im Mittelpunkt der Publikation steht jedoch die lange, glänzende Reihe von Flugapparaten aus Dessau, deren bedeutendster wohl die legendäre F 13 war, das erste einsatzfähige mehrsitzige Ganzmetall-Verkehrsflugzeug der Welt, nach seinem Erstflug 1919 in über 60 Versionen von ebenso vielen Fluggesellschaften weltweit eingesetzt, produziert bis 1932.
Die Akribie der Chronologie aller in Wort und Bild vorgestellten Flugzeugtypen verdient Hochachtung. Eindrucksvoll wird der hervorragende Anteil belegt, den Hugo Junkers und seine Mitarbeiter an der Entwicklung der zivilen Luftfahrt als deren Pioniere und technische Revolutionäre hatten. Ebenfalls ausführlich dargestellt sind die unterschiedlichen Typen und Varianten von Maschinen militärischer Zweckbestimmung, die Junkers auch für verschiedene ausländische Abnehmer baute bzw. in Lizenz herstellen ließ, so in Schweden und Japan. Ein ganz besonderes Kapitel nimmt hier die Zusammenarbeit mit der UdSSR ein, die infolge des Rapallovertrages von 1922 zustande kam. Bis 1927 wurden in Fili bei Moskau von Junkers zahlreiche Militärflugzeuge für die Rote Armee hergestellt, ein auf offiziellen Staatsverträgen basierendes Unternehmen, das später den Nazis eine willkommene Handhabe bieten sollte, Hugo Junkers zu diffamieren und zu reglementieren.
Unter den zahlreichen Abbildungen, die allerdings nur selten Einblicke in das Innere der Maschinen gewähren und deren Kommentierungen so gut wie keine Auskünfte über Innengestaltung, Komfort oder Service an Bord geben, sind die farbigen Typenblätter von Klaus Huhndorf hervorzuheben, die man sich ebenfalls um Innenrißdarstellungen ergänzt wünschte. Zu kurz kommt in dem Band leider auch die Rolle des Leitenden Werbegrafikers und Gestalters der Junkers-Werke Friedrich Peter Drömmer. Er wird lediglich einmal, im Zusammenhang mit den Repressalien der Faschisten gegen Junkers und seine leitenden Mitarbeiter, erwähnt (S. 214). Sein sicherlich nicht unbedeutender Anteil an der Flugzeuggestaltung, aber besonders wohl auch bei Werbeunternehmungen, Verkaufsexpeditionen und in der Absatzwerbung generell, bleibt in dem Buch gänzlich unberücksichtigt, dürfte also ein interessanter Gegenstand weiterführender Forschungen zur Junkers-Geschichte sein.
Ansonsten spiegelt ,,Hugo Junkers und seine Flugzeuge“ mehr wider, als der Titel ankündigt: Junkers‘ ingenieurtechnische Pionierleistungen auf dem Gebiet der Wärmetechnik (unter anderem Gasbadeöfen, besonders hervorzuheben die Erfindung des Gasdurchlauferhitzer-Prinzips durch ihn im Jahre 1906) sind ebenso vollständig in Text und Bild dargestellt wie die weltbekannten Ergebnisse des Motorenbaus in Dessau,
Erstaunlich allerdings, daß sich in dem gesamten Buch kein einziger Hinweis auf Junkers‘ Verhältnis zum Bauhaus in Dessau findet, das wohl zwar nicht sonderlich ausgeprägt gewesen zu sein scheint, sich doch aber wenigstens in einem Fall als gegenständlich erwies: mit der berühmten Gestaltung des Junkers-Standes auf der Berliner Ausstellung ,,Gas und Wasser“ durch die Reklame-Abteilung des Bauhauses unter Leitung von Joost Schmidt im Jahre 1929.
Michael Grüning:
Der Wachsmann-Report
Auskünfte eines Architekten
Verlag der Nation Berlin 1985
588 S., 161 Abb.
Michael Grüning kommt das Verdienst zu, mit seinem ,,Wachsmann-Report“ nicht nur eine der hervorragenden, wenn auch niemals spektakulär wirkenden und auch deshalb wenig publiken Architektenpersönlichkeiten unseres Jahrhunderts für einen breiten Leserkreis ,,entdeckt“ zu haben, sondern außerdem – richtiger: mit Wachsmanns Erzählungen – ein einmalig anschauliches Kaleidoskop kultureller und wissenschaftlich-technischer Leistungen und mit ihnen verbundener großer Namen vor allem der zwanziger und dreißiger Jahre erarbeitet zu haben, das in Umfang und Lesart seinesgleichen sucht. ,,Erarbeitet“ ist hier ganz bewußt gewähltes Tätigkeitswort: Die Auskünfte Konrad Wachsmanns auf 27 Tonbandkassetten gelegentlich eines kurzen DDR-Besuches wollen erst einmal erfragt, geschweige denn sortiert, redigiert und niedergeschrieben, ein makelloses zwanzigspaltiges Personenverzeichnis und eine ebenso akribische Abbildungsliste zusammengestellt sein!
Dank Grünings unglaublicher Besessenheit – er würde sagen: dank der von Wachsmann ausstrahlenden bezwingenden Persönlichkeit während des fünf Tage und fünf Teilnächte langen Beisammenseins mit ihm – ist ein Werk entstanden, das trotz seines Umfangs und, allerdings nur auf den ersten Blick, ,,speziellen“ Anspruchs sofort vergriffen war und für lange Zeit als Verlags-Bestseller gut sein dürfte.
Was Rang und Namen hatte in der europäischen (dann auch in der amerikanischen) Kulturszene zu Lebzeiten Konrad Wachsmanns (1901-1980), ist im Personenverzeichnis, mithin in Wachsmanns Erinnerungen, enthalten, Mit vielen Großen seiner Zeit unterhielt er gelegentliche oder intensive lange persönliche Kontakte: Brecht, Feuchtwanger, die Manns, Grosz, Picasso, Piscator, Poelzig, Gropius, Mies van der Rohe (überhaupt viele Bauhäusler), Le Corbusier, Buckminster Fuller, Hemingway, die Palucca oder Else Lasker-Schüler berührten seinen Lebensweg direkt, zählten sogar zu seinen unmittelbaren Kollegen oder Freunden – last but not least Albert Einstein, dessen 100. Geburtstag Wachsmann aus der Wahlheimat USA in die DDR führte, für den er 1929 das berühmte Holzhaus im brandenburgischen Caputh projektiert hatte.
Die Authentizität der Lektüre von Wachsmanns Erinnerungen aus Grünings Hand geht in ihrer Wirkung noch weit über jene hinaus, die Tonbandprotokoll-Literatur gemeinhin verspricht. Ihre Faszination rührt aus einer tragenden dramatischen Spannung her, die so kunstvoll konstruiert erscheint, wie die für die Gestaltung der Vorsatzblätter des Buches verwendete Studie Wachsmanns ,,Perspektive einer beliebigen fünfstöckigen Konstruktion, die aus einem Grund-Bauelement montiert ist“. Die Spannung des Buches ist aber nicht konstruiert, sondern vor allem dem phänomenalen assoziativen Gedächtnis Wachsmanns und der diszipliniert-einfühlenden Bearbeitung durch den Protokollanten zu verdanken. Die wird nur hin und wieder durchbrochen von ein wenig zu oft und zu mokiert eingestreuten Einschüben Grünings, wenn er authentische Gesprächssituationen miterlebbar machen will – in ermüdender Wiederholung meist auf Kosten provinzieller Gastronomie-Realität. Das sind die einzigen Passagen, die verzichtbar gewesen wären. Zum Glück aber verdecken sie nicht die ungeheure Fundgrube, die sich mit dem Aufschlagen des Reports von seiner ersten Seite an auftut.
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Günter Höhne
(Sammel-Kritik von 1987 zu den in der DDR erschienenen Sachbüchern „Hugo Junkers und seine Flugzeuge“ und „Der Wachsmann-Report“ – in alter Rechtschreibung belassen)