Ausstellung des Verbandes Bildender Künstler der DDR,
des Amtes für industrielle Formgestaltung und der DEWAG
Berliner Stadtbibliothek, vom 14. November bis zum 7. Dezember
1985
Es war die zweite umfassende Ausstellung ihrer Art – die erste, am selben Ort, liegt allerdings 15 Jahre zurück. So lange mithin, daß vergleichende Wertungen sehr fragwürdig wären. Wer wollte sie anstellen, wer vor allem könnte sie noch nachvollziehen, ihnen womöglich entgegnen? Dennoch, ein genereller Unterschied läßt sich bestimmen. War damals, 1971, die Präsenz von Marken und Zeichen der Wirtschaft sehr vorherrschend, fiel diesmal eine stärkere Hinwendung zu politischen und kulturpolitischen Identitätszeichen sowie zu Informations- und Orientierungspiktogrammen für den öffentlichen Raum auf. Kein Zufall, vergegenwärtigt man sich, daß Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre Industrie und Landwirtschaft in der DDR umfangreiche Strukturierungs- und Profilierungsprozesse bewältigten, mit denen unter anderem auch ein großer Bedarf an neuen äußerlichen, werbenden Identifikationsmerkmalen einherging.[paycontent]
1971 war das Jahr des VIII. Parteitages, der auf der Grundlage des erreichten hohen Niveaus des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses das strategische sozialpolitische Programm beschloß: die weitere, kontinuierliche Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes, basierend auf einem hohen Entwicklungstempo der sozialistischen Produktion und dem Wachstum der Arbeitsproduktivität. Heute, nach 15 Jahren, wird vor dem XI. Parteitag der SED eine weitere Bilanz der Erfüllung dieses Programms gezogen, und die Ausstellung ,,Marken und Zeichen aus der DDR“ 1985 tat ihr Spezifisches dazu: Auch die vorgestellten gebrauchsgrafischen Leistungen signalisieren, daß mit der weiter gewachsenen Wirtschaftskraft der DDR tatsächlich das materielle und kulturelle Lebensniveau der Bürger deutlich gestiegen ist. Das schlägt sich beispielsweise in den in großer Zahl vorgestellten Zeichen für neue Bühnen, Museen, Galerien, Veranstaltungsreihen gesellschaftlicher Organisationen oder anderer lnitiatoren oder auch für Gastronomieeinrichtungen und Hotels nieder. Manche dieser Zeichen sind zu Marken für die hohe Qualität der hinter ihnen stehenden Leistungen geworden, so etwa Horst Wesslers roter ,,Film-Stern“, der seit 1971 das alljährliche ,,Festival des sowjetischen Kino- und Fernsehfilms“ in der DDR symbolisiert, oder die Signets für das „tip“, das Theater im Palast der Republik, von Günter Nitzsche (1975) und für das Schauspielhaus Berlin von Rudolf Grüttner, 1984 in Zusammenarbeit mit Axel Bertram entstanden.
Zeichen, die im doppelten Wortsinn für die erreichte Vergegenständlichung des sozialpolitischen Programms stehen, sind die mit ins Zentrum der Ausstellung gerückten Piktogrammsysteme für Halle/Saale von Gerhard Voigt (in Zusammenarbeit mit Elisabeth Graul, Hannelore Heise und Liane Kotulla), für Berlin-Marzahn von Utz Müller und für Dresden von Hans Wiesenhütter. Wobei das Voigt’sche für Halle die Vielfalt der städtischen Orientierungspunkte und Dienstleistungseinrichtungen dermaßen umfassend auskostet, daß zu bezweifeln ist, ob selbst Eingesessene alle rund 50 Symbole auf Anhieb und irrtumsfrei zu entschlüsseln vermögen – wie sich überhaupt die Frage aufdrängt, warum jede Stadt unbedingt ihr ,,eigenes“ Piktogrammsystem entwickeln lassen muß. Der Drang zur Unverwechselbarkeit rückt hier in die gefährliche Nähe eines Hangs zur Provinzialität.
Marken für die Wirtschaft – Schutzmarken oder auch Warenzeichen – stellten dennoch auch diesmal das Gros der Leistungsschau. Firmenzeichen als Träger eines komplexen Rufbildes wie die für das VEB Schwermaschinenbaukombinat TAKRAF (Gerd Hömsch, 1975), für den heutigen VEB Designprojekt Dresden (Wolff-U. Weder, 1977), den Volksbuchhandel der DDR (Herbert Prüget, 1970) oder den VEB Falken Registraturen Peitz (Jürgen Förster, 1970) sind mittlerweile eingeführte, weithin bekannte Marken; andere, darunter etwa die für den VEB Natursteinwerk Koschenberg (Rudolf Sittner, 1973) oder den VEB Gerüstbau Sebnitz (Jürgen Schumann, 1979) verkörpern lediglich regionale Bedeutung, erfüllen diesen Anspruch jedoch mit wahrhaft bemerkenswerter Qualität. Man erkennt, dahinter stehen auch selbstbewußte Auftraggeber.
Das ist ja eine Binsenweisheit: Ob und wie die Wirtschaft unseres Landes sich über Marken und Zeichen ins Bewußtsein ihrer Partner und ihrer Kunden bringt, hängt nun einmal mit davon ab, ob sie das Potential der Gebrauchsgrafik der DDR nutzt und für welche zu realisierende Variante sie sich letztlich entscheidet. Und da liegt noch vieles brach und geht so einiges in die sprichwörtlichen Binsen. Die Einfalt oder Ignoranz ist einfach verblüffend, mit der manche Kombinate (etwa ausgerechnet der Konsumgüterindustrie) immer noch glauben, Marktstrategien ohne sinnfällige Marken betreiben, hier allein dem ,,eigenen Geschmack“ vertrauen zu können.
Aber auch bei gefundenen glücklichen Lösungen geht die betriebliche Realität zuweilen Um- und Abwege – etwa wie im VEB Kombinat Oberbekleidung Berlin ,,becon“, für das Utz Müller nicht nur eine intelligente Marke schuf, sondern (auf der Ausstellung gezeigt und mit einer Auszeichnung der Jury bedacht) ein komplexes Erscheinungsbild, vom Firmenzeichen über Tragetaschen, Verpackungspapier, Etikett, Kleiderbügel, Servicefahrzeug-Grafik, Geschäftspapiere, Messestandgestaltung, Autobahnwerbung bis hin zum Firmen-T-Shirt. Da wird aber dann nach der Annahme des Entwurfs die Farbkonzeption verwässert und der umfangreiche Neubau eines Betriebsteils mit einer großzügigen Leuchtwerbung versehen, die nur leider nicht das neue, sondern noch das alte, abgelegte Image des Betriebes ausstrahlt.
Immerhin konnte der Katalog zur Ausstellung, der auch eine Reihe nützlicher lnformationen über Anliegen und Wirkungsmöglichkeiten von Marken und Zeichen vermittelt, vermelden, daß es eine Erste Durchführungsbestimmung zum Gesetz über Warenkennzeichen vom 3. Dezember 1984 gibt, in der es unter anderem heißt: ,,Beim Patentamt besteht eine Gutachterkommission, die auf Ersuchen der Betriebe eine Einschätzung zur werbewirksamen Gestaltung von Marken unter Berücksichtigung schutzrechtlicher Anforderungen vornimmt . . .“ Gegenwärtig, im 8. Jahr des Bestehens dieser unter Federführung des Verbandes Bildender Künstler arbeitenden Gutachterkommission, wird ihr immer noch erst jedes dritte Markenzeichen zur Einschätzung angetragen.
Die Leistungsschau ,,Marken und Zeichen aus der DDR“ – übrigens eine auf individuellen Einsendungen beruhende Juryausstellung, auf der 10 Auszeichnungsurkunden ,,Für hervorragende Leistungen“ vergeben wurden – wollte nicht nur Rechenschaftslegung sein, sondern vor allem auch Diskussionsangebote für Fachleute machen. Die Gelegenheit wurde nur teilweise genutzt. Zum Eröffnungs-Pressegespräch beispielsweise erschien nicht ein einziger Wirtschaftsjournalist…
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Günter Höhne
(Über eine bloße Rezension hinausgehende Betrachtung des Ausstellungsanliegens einerseits und der realen Praxis des Umgangs von Unternehmen und Institutionen in der DDR mit Angeboten der Gebrauchsgrafik andererseits – veröffentlicht in form+zweck 1/1986; in alter Rechtschreibung belassen)