Bärbel Schrader, Jürgen Schebera:
Die,,goldenen“ zwanziger Jahre
Kunst und Kultur der Weimarer Republik
Edition Leipzig 1987
279 S., zahlr. Abb.
Im Klappentext wird abschließend Thomas Mann aus dem Jahre 1944 über die zwanziger Jahre zitiert:,,Es war merkwürdig, herrlich, lebenswert, und im höchsten Grade bleibt es erzählenswert“. Den ,,Reiz des Buches“, so die Autoren selbst in der Einleitung (S. 6), mache die Möglichkeit aus, ,,in einem repräsentativen Bildband korrespondierend zum Text viele bisher kaum bekannte Fotos und Dokumente sowie zahlreiche der behandelten Kunstwerke zu zeigen – in einem Querschnitt durch Kunst und Kultur der Weimarer Republik“. Vom ,,Vergnügen der Betrachtung“ ist die Rede und vom beabsichtigten Beitrag, ,,das Verständnis für eine Epoche zu vertiefen, die in ihren künstlerischen Leistungen bis heute vielfältig weiterwirkt“.[paycontent]
In der Tat ist dieser Bildband zu großen Teilen repräsentativ, vor allem dank vieler großformatiger Reproduktionen von Kunst- und Bauwerken, für deren hohe Druckqualität dieser Verlag immer bürgen kann. Was die versprochenen vielen bisher kaum bekannten Fotos und Dokumente betrifft, will sich beim Kritiker allerdings die große Ehrfurcht nicht einstellen, wie vergleichsweise etwa bei der Durchsicht von Heinz Bergschickers ,,Deutscher Chronik 1933-„1945″, 1981 im Verlag der Nation erschienen. Dem Thomas-Mann-Zitat allzu bereitwillig folgend, erweisen sich die Texte als überwiegend erzählerischen, ja plaudernden Tones, als unterhaltsam-belehrende Zeitgeschichte in häufig polemischer und ironisierender Manier mit vielen ,,Gänsefüßchen“, gemäß denen im Buchtitel selbst.
Ein – mit einigen Abstrichen – guter Querschnitt in Wort und Bild durch die konservativ-nationalistische und die progressiv-bürgerliche sowie die proletarische Kunst, durch Kultur und Wissenschaft der Weimarer Republik ist dies dennoch, ein Querschnitt bis an ihre Wurzeln in der Endphase des ersten Weltkrieges, am Vorabend der Novemberrevolution in Deutschland: die Parteien- und Presselandschaften werden gestreift, das Volksbildungswesen, Literatur, Bühne, Film, Unterhaltungskunst, Rundfunk- und Schallplattengeschichte, die Vertreter der verschiedenen lsmen dieser Ära, besonders die bildende, aber leider so gut wie gar nicht die angewandte Kunst und überhaupt nicht die industrielle Formgestaltung (die Darstellung der Bauhausleistungen zum Beispiel beschränkt sich auf Architektur und Kunst sowie die bildliche Präsenz eines Breuer-Stuhles).
Ein eigenes Kapitel ist der Neuen Sachlichkeit und dem Funktionalismus gewidmet (S. 149-168), in dem die Geschichte des Bauhauses zwar relativ ausführlich umrissen wird, das Neue Frankfurt oder die Stuttgarter Weißenhofsiedlung hingegen – letztere wenigstens auch mit einem kommentierten Foto – lediglich Erwähnung finden. Daß die Architekten des Funktionalismus neben Wohnungen für den Volksbedarf auch Projekte ,,für den Luxusbedarf des Großbürgertums nach Kräften“ realisierten (S.166), wird ihnen angekreidet, ohne etwa zu bedenken, daß Bauen auch mit Geldverdienen zu tun haben mußte für die wahrlich nicht sonderlich geförderten sozial engagierten Architekten des Funktionalismus. Auch wird nicht zur Kenntnis genommen, daß diese Leistungen für die Bourgeoisie zwar vielleicht den spektakulärsten, aber den zahlenmäßig entschieden geringsten Anteil an ,,Luxusbauten“ ausmachten. ln den Kreisen des reaktionären Großbürgertums herrschte auch in den zwanziger Jahren eine bieder-völkische Architektur vor. Ähnlich simpel beurteilt man an anderer Stelle übrigens das Wirken Hugo Junkers‘ (S. 87), dessen Verkehrsflugzeugbau mit einem Federstrich, in einem halben Satz, allein zur Ouvertüre profitablerer Rüstungsgeschäfte degradiert wird.
Der Band ist ein polemischer, aber auch nicht unproblematischer Versuch, die widerspruchsvollen zwanziger Jahre zu durchstreifen. Der Anhang mit Anmerkungen, synchronoptischer Zeittafel, Literaturhinweisen, Bildnachweis und Personenregister gibt Anleitung zum ergänzenden Studium der Materie.
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Günter Höhne
(Eine kritische Betrachtung des Bandes als „polemischem, aber auch nicht unproblematischem Versuch, die widerspruchsvollen zwanziger Jahre zu durchstreifen“ – in alter Rechtschreibung belassen)