Designausstellung Clauss Dietel/Lutz Rudolph
in Karl-Marx-Stadt vom 27. April bis zum 31. Juli 1985
Das Faltblatt zur Ausstellung am Karl-Marx-Städter Theaterplatz verrät, daß Dietel und Rudolph eigentlich etwas gegen das Ausstellen von Designobjekten haben. Denn, so Autor Karsten Kruppa, ,,es liegt in ihrem beruflichen und damit in ihrem gesellschaftlichen Selbstverständnis, das Serienprodukt massenhaft – mindestens so gut wie von ihnen einst gedacht – im alltäglichen Gebrauch sehen zu wollen“.
Eine Zwickmühle, in der sich die meisten Designaussteller befinden, nur: die wenigsten Expositionen können ihre Gegenstände im konkreten alltäglichen, komplexen Umfeld zeigen. Man muß also von vornherein berücksichtigen, daß der ausgestellte, herausgestellt Einzelvertreter beispielsweise einer gestalteten Erzeugnisserie- oder -familie ein wenig autoritär wirkt, der er sonst – sozusagen im,,Zweckverband“ – Teil eines Ganzen ist (oder jedenfalls sein soll). Wiederum: das aus der Massenproduktion und dem Massengebrauch herausgegriffene, als Einzelobjekt präsentierte Design in einer Ausstellung vermag für sich zu sprechen, Aufmerksamkeit zu wecken wie sonst sicher nicht. Da steht im letzten Ausstellungsraum beider neues Zweiradmodell für Zschopau, die ETZ 150, mit Blinkleuchten ausgerüstet, die nun bestimmt nicht der ,,Clou“ am Motorrad sein wollen – man schaut mehr auf anderes. Aber die gleichen Leuchten, ein paar Schritte entfernt zu einem gebündelten, eigenständigen Objekt zusammengefaßt, erweisen sich hier, in der näheren Betrachtung, als wohlüberlegt sachlich-ästhetisch gestaltete Funktionsträger und als Musterbeispiel für langlebiges gutes Design: seit 1973(!) werden sie produziert, nach wie vor massenhaft fürs ln- und Ausland, über 10 Millionen Exemplare bis dato.[paycontent]
Aber gehen wir von vorn durch die Ausstellung. Da widerfährt dem Besucher auf den ersten Blick artifiziell Anmutendes: auf massiven zylindrischen und quaderförmigen schwarzen Postamenten ruhen Schreibmaschinen, von Clauss Dietel für den VEB Kombinat Robotron gestaltet. Sie sind der gewohnten Schreibtischebene enthoben, jede einzelne kann man umrunden und auf den zweiten, solcherart geschickt aufgeschlossenen Blick ihre Gestaltungsdetails entdecken. Im anschließenden Raum Rundfunkgeräte, betont sachlich präsentiert, hier auch ein Wiedersehen mit den HELIRADIO-Klassikern: RK 2 (von 1961 bis 1966 wurden mehr als 25.000 Stück gefertigt), RC 1 (von 1967 bis 1969 mehr als 5000 Stück; die dazu gestellten Kompaktlautsprecher LK 20 wurden über zehn Jahre lang produziert), RK 3 in seiner gesamten Gerätekombination (von 1966 bis 1971 mehr als 35.000 Stück). Diese Geräte und Kombinationen, abgestimmt auf die damalige, progressive Hellerau-Linie im Wohnraum, präsentieren sich heute als gar nicht nostalgisch wirkende Alternative zu den international uniformierten HiFi-Miniaturkomplexen. Anmutung: solide Technik, Holz, unaufdringliche Funktionalität. Seinerzeit vom Handel als ,,modernistisch“ beargwöhnte Außenseiter unter den wulstig gefrästen, auf Mahagoni gebeizten, hochglanzpolierten und mit Eloxalleisten verzierten Super-Gehäusen und Musiktruhen –vielleicht auch deshalb nur jeweils drei bis fünf Jahre im Produktionsprogramm.
Unbeirrt setzen Dietel und Rudolph seit Anbeginn ihres formgestalterischen Schaffens auf eine der Funktionalität ihrer bearbeiteten Gegenstände angemessene unverstellte, ungekünstelte Ästhetik. Mochten sie da dem einen oder anderen als Aussteiger aus den jeweiligen Zügen der Zeit gelten – sie waren einfach dem Gängigen voraus.
Wohl am beeindruckendsten erweist sich das in jenem Kabinett der Ausstellung, das ihre Designleistungen für die Fahrzeugindustrie der DDR zusammenfaßt. Was da Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre zum Beispiel an Pkw-Modellen für Sachsenring Zwickau und für
das Wartburg-Werk Eisenach entstand und von den Auftraggebern zumindest anfangs als ,,unzeitgemäß“ ad acta gelegt wurde, ist genau das Formenprinzip, das sich wenig später weltweit durchgesetzt und bis heute als technisch-ästhetisches Langzeitprogramm behauptet hat: Abkehr vom seit Postkutschenzeiten traditionell hinten ab- bzw. angesetzten Kofferraum, statt dessen Vollheck und konsequent strömungstechnisch, innen ergonomisch bestimmte Karosserieproportionen…
Auf das Modell des ,,Urtyps“ der Dietel-Rudolphschen Pkw-Konzeption von 1971/72 schrieb jemand während der Karl-Marx-Städter Bezirkskunstausstellung 1972 (übrigens ebenfalls im Museum am Theaterplatz) eine der gebräuchlichsten und häßlichsten deutschen Verbalinjurien. Gerade in diesem Zusammenhang aufschlußreich, was sich heute im Besucherbuch findet: so die Unmutsbekundung ,,Wir hatten mehr erwartet, vor allem Neues. Die ausgestellten Gegenstände kann man doch täglich fast überall sehen“ und daneben: ,,Die Ausstellung finden wir total irre. Macht weiter so. Wir hoffen, daß es einmal der Wirklichkeit entsprechen wird“. Die Nutzererwartungen gegenüber dem Design sind höher gespannt als dazumal, differenzierter und toleranter. Und die Erwartungen der Designer? Die Ausstellung spricht darüber Bände, obwohl die Autoren sich dazu mit keiner Silbe äußern; die Texte zu den Exponaten sind aufs Sparsamste gehalten, informieren lediglich über Produktbezeichnung, Auftraggeber, Gestaltungsjahr und Stückzahlen, äußern sich in keinem einzigen Falle (leider) zur Genese der Entwürfe und ihrer (Nicht)-Realisierung. Dem aufmerksamen Beobachter offenbaren sich hier dennoch erregende Geschichten über gesetzte, enttäuschte, immer wieder gesetzte und schließlich da und dort auch durchgesetzte Erwartungen.
Am unkompliziertesten, allem Anschein nach sich hauptsächlich auf produktive Reibungen beschränkend, mögen wohl etliche unikate Arbeiten für gesellschaftliche Auftraggeber ihre Gestalt gewonnen haben, so Dietels Bauplastik in Edelstahl für das FDGB-Heim ,,Am Fichtelberg“ in Oberwiesenthal 1975, der Ehrenhain der Sozialisten in Karl-Marx-Stadt (Auftraggeber: Rat der Stad) von 1976-78, der Eingangsbereich des Gebäudes der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der SED (1976 bis 1980) oder Rudolphs Mitarbeit an der Innenausgestaltung des Flughafen-Abfertigungsgebäudes Berlin-Schönefeld.
Wo es um serielle oder gar komplexe, industriell umzusetzende Gestaltungsentwürfe für ,,öffentliche Klienten“ ging, ist der Erfolgsquotient der beiden Designer allerdings schon wieder wesentlich bescheidener. Für mich eine der bedauerlichsten ,,Null-Meldungen“ hier: das nicht realisierte Rudolphsche Konzept für ein funktionell und ästhetisch frappierend logisches wie unaufwendiges Erscheinungsbild der Berliner Nahverkehrsmittel. Aber wie gesagt – auch nicht der geringste Anflug von Larmoyanz in der Exposition angesichts solcher Erfahrungen. Von den vielen abschlägigen Bescheiden über das Produziertwerden hier ausgestellter Modelle und Muster weiß nur der Eingeweihte, Dietel und Rudolph laufen damit nicht zu Markte. Ihre Grundhaltung ist das produktive ,,Trotzdem“ gegenüber Hindernissen, das Vertrauen auf die ,,sanfte Gewalt der Vernunft“.
Als jüngstes Musterbeispiel dafür steht die neue MZ, die ab Herbst dieses Jahres in Zschopau vom Band geht, modern im Sinne funktionaler und ästhetischer Verarbeitung neuester ergonomischer und aerodynamischer Erkenntnisse, gestalterisch durchgestandene Produktgrafik und zugleich offen für künftige Designmetamorphosen. Diese Maschine verkörpert ein formgestalterisches Prinzipbewußtsein, das sich auf zwei Jahrzehnte unbeirrt progressive Designpraxis – besonders im Fahrzeugbau – gründet und auch in diesem speziellen Falle ganz ohne Mätzchen und Anleihen bei größeren internationalen Konkurrenzfirmen auskommt. Clauss Dietel und Lutz Rudolph demonstrieren in der Ausstellung (die man sich auch noch anderswo als nur in Karl-Marx-Stadt zu sehen wünschte) ihr ungebrochenes Verhältnis zu den Grundsätzen menschenfreundlicher massenhafter Produktgestaltung in der sozialistischen Gesellschaft. Sie berufen sich dabei auch auf ein Zitat Erich Honeckers auf dem X. Parteitag der SED 1981, das dem Ausstellungsbesucher beim Entree zu denken geben soll: ,,Mit anspruchsvollen Leistungsparametern müssen Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer einhergehen. Qualität soll sich nicht zuletzt in einer ästhetischen Form ausweisen, die für längere Zeit Bestand hat.“
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Günter Höhne
(Eingehende Würdigung einer ersten umfassenden Werkschau des freiberuflichen DDR-Formgestalter-Duos Karl Clauss Dietel und Lutz Rudolph – veröffentlicht in form+zweck 5/1985; in alter Rechtschreibung belassen)