Design: Marktfaktor? Risikofaktor?

Raymond Loewy, Leitfigur des Industrial Design in den USA und Vater der Stromlinienform, prägte Mitte dieses Jahrhunderts den vielzitierten Satz „Häßlichkeit verkauft sich schlecht“. In Deutschland wird seit über 40 Jahren gutes Design öffentlich, zum Teil staatlich gefördert, und in kaum einem anderen Industrieland gibt es pro Kopf der Bevölkerung so viele hochqualifizierte Produkt- und Komunikationsdesigner. Dennoch: In den neuen Bundesländern wird ihr Potential von kleinen und mittleren Unternehmen nur zögernd genutzt. W&M-Mitarbeiter Günter Höhne über Berührungsängste ostdeutscher Firmen einerseits und erstaunliche Markterfolge mit „Designern von hier“ andererseits.

Es ist wohl wahr: sich Designer ins Haus zu holen, bedeutet Risken einzugehen. Wer in seinem Unternehmen als Chef einen ausgeprägt autokratischen Führungsstil pflegt und wirklich noch selbst am besten weiß, wo’s langgeht, der etwa sollte sich mit diesen Leuten von der Fraktion „dienstleistende Kunst“ tunlichst nicht einlassen. Die fuhrwerken nämlich überall hinein – möchten die ganze Betriebsgeschichte wissen, diskutieren mit den Konstrukteuren und den Marktetingleuten, wollen ins Pflichtenheft hinein und am Ende noch den Messeauftritt umkrempeln. Und dann: Design ist teuer. Hört man jedenfalls immer wieder. Das weiß doch schon, wer nur mal auf ein „Designermöbel“ spitz war. So etwas können sich bloß Luxusfabrikanten und -kunden leisten. Bei Otto Normalhersteller wird durch diese ehrgeizigen Produktkünstler womöglich der gesamte Entwicklungs- und Herstellungsprozeß umgemodelt, und am Ende bleibt man auf dem neu gestalteten Zeug sitzen. Ist doch so?[paycontent]

Aber auch das stimmt: als Designer sich einem neuen Auftraggeber auszuliefern, ist nicht minder ein Risiko. Da nützen die längsten und unterschiedlichsten Berufserfahrungen, die besten Referenzen nichts – der Ausgang des Abenteuers ist bis zuletzt ungewiß. Hat der Designer schließlich die Firmen-Produktphilosophie enträtselt und als Seiteneinsteiger vielleicht sogar einen weiteren, bisher unbeachteten Aspekt beisteuern können, der akzeptiert wurde, folgt die Tippeltappel-Tour vom Technologen bis zum Marketingfritzen, um herauszubekommen, was vom gestalterischen Idealziel realisierbar ist in dem Unternehmen. Überfordert man den Auftraggeber mit seinen Vorstellungen, war das der erste und letzte Auftrag hier. Genauso aber, wenn die Innovationsbereitschaft unterschätzt wird. Und dann immer dieses Vorurteil: Design ist teuer! Daß die Gestaltungsleistungen für gewöhnlich die Gesamtentwicklungskosten nur um ganze drei bis fünf Prozent erhöhen, aber im Endeffekt den Marktwert des Produktes um ein möglicherweise Vielfaches steigern – das spricht sich nicht herum. Und wer ahnt schon gar, wie du als Designer mit jedem neuen Auftraggeber um die Vergütung deiner Entwicklungsleistungen von der Vorstufe bis zum Serien-Finish ringen mußt…
Sich erstmalig mit Design einzulassen, wirft für alle Beteiligten zunächst viele Fragen, Risiken auf. Und mit dem Fortschreiten des Gestaltungsprozesses kommen immer neue hinzu – mit ihnen aber auch stets neue Antworten, Erfahrungen, Problemlösungen. Am guten Ende solche Erkenntnisse wie die von Günter Hess, Inhaber der Hess-Spielzeuge GmbH in Olbernhau, 1993 mit dem Sächsischen Staatsspreis für Design ausgezeichnet:

„Ich habe 1990 als Existenzgründer mit Null begonnen und glücklicherweise nicht nein gesagt, als mir junge sächsische Designer mit neuen Ideen ins Haus kamen. 1994 hatten wir schon einen Umsatz von 3,4 Millionen Mark. Das Holzspielzeug, das wir produzieren, besitzt einen ganz eigenen Charakter. So haben wir zum Beispiel unter weltweiten Konkurrenzangeboten 1995 den Zuschlag für 200 000 Kinder-Rasseln bekommen, die die Deutsche Lufthansa den Babys an Bord schenkt. Zwar konnten wir mit den Pfennigpreisen etwa der Hersteller aus Taiwan für ein vergleichbares Produkt nicht mithalten, aber die Lufthansa-Vertreter wollten ein Babyspielzeug, das preiswert ist und einmalig. Für uns hat eindeutig die Design- und Verarbeitungsqualität entschieden.“

Ähnliche überaus positive Erfahrungen mit dem konsequenten Einsatz des Wirtschafts- und Kulturfaktors Design in seiner Produkt- und Marketingstrategie macht zur Zeit Geschäftsführer Peter H. Urban von der Wismarer Solar Nord GmbH. Auch sein Unternehmen, 1990 gegründet, hat sich auf einem heftig umkämpften Markt mit hunderten Groß- und Kleinproduzenten zu behaupten. Daß er als zudem unmittelbar von der Bremer Vulkan-Pleite jetzt erheblich betroffener Zulieferer dennoch optimistisch in die Zukunft blicken kann, ist der Entscheidung zu verdanken, geplante Produktinnovationen von Anfang an durch professionelle Designer begleiten zu lassen.

Sein Partner ist das Mecklenburger Designbüro „formbund“, das seit 1991 unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen bereits mehrere Staatspreise für ausgezeichnete Produktgestaltung einheimsen konnte. Die von dem diplomierten Maschinbauingenieur und Formgestalter Reinhard O. Kranz und seiner Frau Anne Kranz-Mogel (beide Absolventen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und bereits zu DDR-Zeiten gefragte Designer) technisch und gestalterisch optimierte Parkscheinsäule der WSA electronic GmbH & Co. KG Altendambach/Thr. beispielsweise hat seit 1992 ihren Siegeszug um die halbe Welt angetreten – seit 1995 sogar auf Westberlins Edelmeile Ku’Damm.

Ein ähnliches hitverdächtiges Produkt gestaltete „formbund“ nun – neben völlig neuartigen, mulitfunktionalen Solar-Informations- und Kommunikationssäulen für den öffentlichen Raum – mit dem Solar-Shuttle „Meckmobil“ der Solar Nord GmbH, dessen erste Serienmuster auf der zurückliegenden Hannover Messe ‘96 für Aufsehen sorgten. Das mit seinen funktional-technischen Parametern wie mit der variabel-modularen und zugleich komplex-stimmigen Gestaltung derzeit Vergleichbares in den Schatten stellende Fahrzeug für den Einsatz in Touristik, Sport und Stadtverkehr war nicht nur bei ernsthaften Kauf-Interessenten aus 25 Ländern ein Renner. Das durch und durch ostdeutsche Produkt wurde auch zum Aufmacher für die Messeberichterstattung von N III aus dem Hannoveraner Studio erkoren, und die Reporterin konnte es nach nur wenigen Minuten Bedienanleitung sichtlich stolz selbst vor die Kamera fahren. – Ganze eineinhalb Jahre brauchten die eng zusammenarbeitenden Konstrukteure und Designer von der Idee bis zur Serienreife 1996. Nur eines bedauert Kranz: den reichlich hausbackenen Namen des neuen Kindes aus der Solar Nord Produkt-Familie durfte er leider nicht ändern.

Der Produktname war für einen anderen ostdeutschen Fahrzeughersteller und sein angeheuertes Gestaltertem nach der Wende kein Problem – wohl aber die ästhetische und Bediener-Akzeptanz des jahrelang kaum verändert vom Band gegangenen Erzeugnisses Made in GDR: des „Multicar“ der Spezialfahrzeuge GmbH in Waltershausen. Hier machten die sieben Mitarbeiter der „gotha design + marketing gmbh“ zunächst mit einem tiefgreifenden Redesign flinke Beine für die Marktwirtschaft. Den berühmten Frankfurter Einkaufs-Boulevard Zeil beispielsweise bringt nun nach Ladenschluß ein ganzes Geschwader von neuen Multicars wieder in Schuß.

Suhler Simson-Roller und Zweiräder aus Zschopau, Bau- und Landmaschinen aus Weimar und Schönebeck, aber auch Industrieerzeugnisse aus Bielefeld, Ingolstadt und München sowie unzählige neue Firmen-Erscheinungsbilder kleiner und mittlerer Unternehmen entstanden auf den Reißbrettern und Bildschirmen der mehrfach preisgekrönten Gothaer Designer. Die erfahrensten sind unter Leitung von Geschäftsführer Holger Gehrmann bereits seit 1978 gemeinsam tätig.

Etwa ebenso lange schon arbeitet die Wernigeröder Industrieglas-Gestalterin Marlies Ameling – wie Reinhard Otto Kranz und Holger Gehrmann bereits auf viele DDR-Designauszeichnungen zurückblickend – in der Derenburger Mundglashütte „Harzkristall“, heute Staatliche Glasmanufaktur. Gehörte der einstige Volkseigene Betrieb nur seiner Bezeichnung nach auch ihr, so muß sie heute als Mitarbeiterin der Geschäftsführung, als Prokuristin und Designerin viel mehr Eigenverantwortung wahrnehmen, und dies durchgehend von Montagfrüh bis Sonntagabend. Ja – wenn es sie dort nicht gäbe, träfe wohl heute auf das Derenburger Grundstück „Im Freien Felde 5“ das Wort „Nomen est omen“ zu, wäre nach der Wende aus der Hütte eine Industriebrache geworden. Die nicht nur technologisch und gebrauchsästhetisch, sondern auch kaufmännisch hochkompetente Gestalterin wirkte maßgeblich am neuen Unternehmens-Managementkonzept mit.

Die alte Hütte wurde zum Teil stillgelegt und andererseits ganz auf einen modernen Manufakturbetrieb umgestellt. Heute ist sie eine bei in- und ausländischen Kunden begehrte Entwurfs- und Produktionsstätte hochwertigen, aber durchaus erschwinglichen Gebrauchs- und Zierkristalls mit ausgesprochen sachlich-modernem Formencharakter, zudem Ausbildungsstätte für angehende Glasdesigner und mit ihren Betriebsführungen und großem Verkaufssalon ein vielbesuchter touristischer Anziehungspunkt Sachsen-Anhalts. Eine besondere Spezialität der „Harzkristall“-Mitarbeiter sind die Restauration beschädigter antiker Glaswaren und die Anfertigung von historischen Repliken, aber beispielsweise auch die Herstellung von zeitgemäßen Firmen-Repräsentationsartikeln. Da berät die Chefdesignerin selbstverständlich persönlich und hat schon so manchen Auftraggeber mit ihren Ideen zunächst verblüfft und dann stets hell begeistert. Und obwohl das Risiko immer präsent ist, doch noch auf dem zur Zeit bekantlich sehr labilen Glas-Markt als kleiner Betrieb eine Bruchlandung zu erleiden – „Ich muß und will damit leben“, sagt sie, und: „Nur wer nichts riskiert, verliert!“

 

(Kommentar)

 

Produktkultur ist kein Luxus

Funktionell optimale und zugleich ästhetisch ansprechende Gestaltung serieller Produkte, von der Porzellantasse bis zum Parkscheinautomaten, ist ein wesentlicher, ja immer öfter ausschlaggebender Qualitätsfaktor für eine gute Markt-Akzeptanz. Haben große Markenunternehmen sowie Produzenten von Luxusartikeln das Erzeugnis- und Verpackungsdesign und die Pflege eines unverwechselbaren komplexen Firmenerscheinungsbildes (Corporate Identity) längst als unerläßlich in ihre Marktstrategie integriert, so ist dies bei Herstellern von Gegenständen des täglichen Gebrauchs und ihrer Verpackung noch längst nicht Usus – übrigens gleichermaßen in Deutschland Ost wie West. In der Regel werden Designer hier nur sporadisch in den Erzeugnisentwicklungsprozeß einbezogen – und dann auch noch meistens zu spät, wenn die hauptsächlichen fertigungstechnologischen und Zulieferer-Weichen gestellt sind und dem Produktgestalter lediglich kosmetischer Spielraum beim Finish überlassen bleibt. Da soll er beispielsweise „mal eben“ das Gehäuse einer Maschine „ansprechend“ bearbeiten oder der alten Faltschachtel für das neue Gefriertruhen-Produkt fix eine „gängige“ Grafik verpassen, für die die Gattin des Firmenchefs übrigens bereits eine gute Idee hat… Und weil jeder Designer, ob erstklassig ausgebildet oder selbsternannt (die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt), hierzulande über jedweden Auftrag nur glücklich sein kann (er ist ja selbst Unternehmer), erledigt er so gut wie möglich, was von ihm erwartet wird. Auch, wenn er nicht glücklich ist dabei und all die womöglichen Chancen als vertan hinnehmen muß, die bei rechtzeitiger Inanspruchnahme seiner Kompetenz dem Produkt ganz andere Qualitäten hätten verleihen können.

Wenn beispielsweise eine taufrische Analyse der Berliner „Forschungsstelle für den Handel“ den derzeitigen ostdeutschen Food-Produkten (unter diesen Sammelbegriff fallen auch Kosmetika und Haushaltschemie) bescheinigt, daß deren Konsistenz und Verpackungsdesign zwar mittlerweile „marktwirtschaftlichen Erfordernisssen angepaßt“ worden seien, sie aber – von drei, vier (Bier-)Ausnahmen abgesehen – mit ihrem kulturellen Erscheinungsbild und Marktauftritt höchstens zweite oder dritte Garnitur verkörpern und in den alten Bundesländern so gut wie keine Rolle im Handel spielen, so sind das die konkreten Folgen solch sträflicher Design-Ignoranz.

Design ist stets sowohl Kultur- als auch Wirtschaftsfaktor, und der Designer genau der kompetente, sozusagen aufs Interdisziplinäre spezialisierte Unternehmens-Partner, dessen gestalterische Kompetenz von der Produktidee bis zum Marketing reicht. Dafür jedenfalls wurde er ausgebildet. Und sein Diplom kann ruhig auch noch das DDR-Wappen tragen. Bei pfiffigen Unternehmern in Ost und West gilt das inzwischen sogar als besonders interessantes Gütesiegel. DDR-Designer sind nämlich durch eine von ihren Westkollegen zum Teil neidvoll anerkannte, künstlerisch hochqualifizierte und zugleich außerordentlich praxisorientierte Ausbildung gegangen – und danach durch eine harte Schule des Berufslebens in der sozialistischen Industrie. „Die haben dort oft aus Mist Bonbon machen müssen“, heißt es über sie. Und kreatives Potential, dem man so etwas zugutehält, müßte gerade heute Gold wert sein.

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(Beitrag für das Berliner Wirtschaftsmagazin „Wirtschaft & Markt“1996)

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