Wahrnehmungen zur Debattenkultur über Industrieform- und Umweltgestaltung in Deutschlands Massenmedien
In den von der Bauhaus-Universität Weimar den Teilnehmern am Kolloquium im September 2010 zugesandten Vorüberlegungen zum Gedankenaustausch heute taucht die Frage nach der Rolle der Medien im Rahmen der so genannten Formalismusdiskussion in der frühen DDR auf. (Eine solche Diskussion, die diese Bezeichnung zu Recht trüge, gab es übrigens nicht. Jedenfalls eine solche nicht, deren Ausgang von Anfang an offen gewesen wäre und die am Ende zumindest hätte zu einer Substanz unterschiedlichster Positionen führen können, womöglich auch zur gesellschaftlichen Formulierung eines Status Quo oder gar einer gemeinsamen demokratischen Handlungsbasis.)
Bedenkenswert und ein Diskussionsthema wäre aber auch, wie es denn generell – auch und gerade heute – um die Qualität und Quantität von Designjournalismus und -publizistik in Deutschland steht. Meiner Betrachtung nach ausgesprochen ärmlich, vor allem in den aktuellen Print- und Rundfunk- sowie Fernsehmedien.
Design, also die Qualität von Produkt- und Umweltgestaltung, ist etwas, das uns täglich buchstäblich berührt – aber die Redakteure und Planer in den Medien offenbar ganz und gar nicht. Und wenn sich dazu geäußert wird, dann meist in etwa immer noch auf jenem geschmäcklerischen, ungebildeten Niveau, wie wir es auch aus den berüchtigten Veröffentlichungen des Neuen Deutschland zur V. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1962 kennen.[paycontent] Damals aber konnten die Schreiber es meistens auch nicht besser wissen. Sie wussten nichts von den Traditionen und Meinungsstreits der Pioniere der Moderne, nichts von Werkbund, Bauhaus, De Stijl, russischen Konstruktivisten und Funktionalisten. Davon wurde in den Schulen der DDR nichts vermittelt oder nur völlig Deformiertes im Sinne stalinistischer Kunst- und Kulturdiktate. Die Urteile und Verurteilungen wurden ihnen von oben vorgegeben.
Heute könnte hingegen auf einen reichen Wissens- und dokumentierten Debattenschatz zurückgegriffen werden. Der aber wird nicht gehoben. Und so hechelt der Kultur- und Wirtschaftsjournalismus in Deutschland, wenn er sich überhaupt zum Thema „Design“ äußert, in der Regel Styling- und Modeerscheinungen hinterher. Seriöse Behandlungen der Materie (und die können durchaus auch geistvoll-witzig und müssen kritisch sein) – Fehlanzeige.
Wenn beispielsweise neue Kunst- und Keramikstoffe unsere dingliche Umwelt gestalterisch und gebrauchstüchtig revolutionieren, so wird das höchstens technisch auf Wissenschafts- und Wirtschaftsseiten der Tages- und Wochenpresse, aber nicht ästhetisch oder gar ethisch im Feuilleton reflektiert. Einer Provinztheater-Inszenierung hingegen, die nur ein paar hundert oder vielleicht auch tausend Leute berührt, widmet man halbe und ganze Seiten – der Ausstattung von Fern- und Nahverkehrsmitteln, von Bahnhöfen, Flughäfen, öffentlichen Plätzen oder Schulen keine Zeile. Und das wäre Debattenstoff, der Millionen angeht!
Theaterkritiker haben oft eine entsprechende Hochschulausbildung hinter sich, Literatur- und Musikkritiker ebenfalls, Architekturkritiker allemal. Wobei letztere freilich oft auch in ihren Wänden und Mauern stecken bleiben, zum weiter hinausreichenden Blick auf die vor den Fenstern und Toren geschehende Stadtplanung und kommunale Umweltpolitik reicht es da auch nicht mehr. Aber Design? Produktkritik? Sie war und ist Spielfeld für Geschmäckler und Trend-Verkünder.
Warum wird an unseren Designhochschulen nicht auch Produktkritik als journalistische, publizistische Disziplin – wenigstens fakultativ – qualifiziert vermittelt? Wir wissen, dass die wenigsten der Absolventinnen und Absolventen hier festen Fuß im Designgewerbe fassen werden. Immer mehr Studierende werden immer weniger einkommensträchtige Betätigungsmöglichkeiten finden. Warum ihnen nicht auch die Werkzeuge als profunde Meinungsbildner, als Produzenten- und Konsumentenaufklärer in die Hände geben an unseren Hochschulen und Universitäten?
Ich selbst habe das Glück, an der FH Potsdam und vorher bereits an der FHTW in Berlin als im doppelten Wortsinne „betroffener“ erfahrener Kulturjournalist und Lehrbeauftragter seit 15 Jahren Basiswissen und -fähigkeiten zu vermitteln. Und wie ich erfuhr, gibt es seit kurzem Ähnliches auch im Lehrangebot der UdK in Berlin. Vielleicht interessiert es, wie mein Lehrprogramm in Potsdam konkret aussieht:
Die Studierenden (und ich habe reichlich Zulauf in meinen Seminaren, pro Semester um die 25 Kurs-Teilnehmer, deren praktische Leistungen benotet werden), diese Studierenden werden von mir mit Grundkenntnissen der Pressegeschichte und -strukturen Deutschlands von Gutenberg bis heute gefüttert, ich besuche mit ihnen Redaktionen und Druckereien und weise sie in die journalistischen Basis-Genres Nachricht, Pressemitteilung, Bericht, Dokumentation, Interview, Reportage – und Kritik ein. Und ob Sie es glauben oder nicht: einige dieser durch meine Schule gegangenen Studierenden haben tatsächlich nach ihrem Design-Diplomabschluss Praktika und Volontariate in Redaktionen angetreten, eine ehemalige Studentin fand sogar Anstellung bei einer Zeitung. Das macht doch Hoffnung, oder? Aber ehrlich gesagt: es ist doch nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Zum Dampfmachen muss durch uns viel mehr unternommen werden.[/paycontent]
(Manuskriptentwurf zum Vortrag im Kolloquium „Kitsch, Formalismus und gute Form“, Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Gestaltung, am 30. Sept. 2010)