Mitwachsende Arbeitsplätze

Zu den ostdeutschen Industriebranchen, die mit dem Eintritt der Wirtschafts- und Währungsunion vor zehn Jahren am heftigsten Federn lassen mussten, zählte auch die Möbelproduktion zwischen Ribnitz-Damgarten und Zeulenroda. Als völlig überfordert durch die westdeutsche und westeuropäische Konkurrenz zeigte sich die weit hinterher hinkende Büromöbelproduktion. Ein Hersteller aber hat nicht nur überlebt, sondern erzielt in den letzten Jahren einen Achtungserfolg nach dem anderen: Die project GmbH in Lutherstadt Eisleben.

 

Mitwachsende Arbeitsplätze

Eislebener Schul- und Büromöbel erobern den Markt im Westen

“Zum Glück galten wir hier als fünftes Rad am Wagen, an dem nach der Wende keiner Interesse hatte. Das war unsere Chance.” Geschäftsführer Gerhard Winkler sagt das ganz ohne Ironie und: “So mussten wir uns nämlich frühzeitig selber rappeln.” Wir – das meint die einstmalige Stahlmöbelproduktion im Eislebener Stammbetrieb des Mansfeld-Kombinates “Wilhelm Pieck”, dem volkseigenen Buntmetall- und Aluminium-Giganten mit rund 40 000 Beschäftigten in mehr als einem Dutzend Bergbau-, Hütten- und Produktionsstandorten zwischen Sangerhausen und Ostberlin.

Als nach 800 Jahren Kupfererzabbau Mitte der sechziger Jahre die Vorkommen in den Mansfelder Schächten zu versiegen begannen, wurden im Revier umfassende Strukturmaßnahmen eingeleitet. Einer der ersten aufgegebenen Abbauorte war der Eislebener Fortschritt-Schacht. Auf seinem Gelände produzierte man nun ab 1967 “Konsumgüter”, vor allem Stahlrohrmöbel für öffentliche Einrichtungen. Diese Stühle und Tische hatten freilich so gut wie nichts mit dem zu tun, was sich der Designkenner für gewöhnlich darunter vorzustellen hat. Da ließen weder Marcel Breuer noch Ludwig Mies van der Rohe grüßen. “Wenige Modelle einfachster Konstruktion und in Riesenstückzahlen waren das”, winkt Winkler ab, “die Stühle grau, braun oder schwarz lackierte Vierbeiner mit Schichtholzschalen oder Kunstlederpolster in gelb oder braun. So um die fünf Millionen in 20 Jahren – und wir konnten auch damit den Bedarf nicht decken.” [paycontent]

In den achtziger Jahren war Winkler, diplomierter Maschinenbauingenieur, Leiter der Mansfelder Konsumgüterfertigung, die unter anderem auch Haushalt-Bohrmaschinen entwickelte, DDR-designpreisgekrönte sogar. Ein solcher Posten verlangte seinem “Träger” in der notorisch unter Rohstoff- und Materialmangel leidenden volkseigenen Industrie ein weiß Gott überdurchschnittliches Maß an Organisations- und Improvisationstalent ab. Da musste man sich als pfiffig, umsichtig, in tausend Dingen technisch versiert und vor allem als phantasievoll vorausschauend erweisen, sich unkonventionell zu behelfen und versorgen zu wissen, wollte man “plantreu” sein, wie das damals hieß.

Eigenschaften, durchaus gut zu Gesichte stehend auch kreativen Managern in der Marktwirtschaft. Als diese 1990 nun auch das anhaltische Eisleben einholte, zog Winkler auf Partnersuche, guten Mutes. “Schließlich hatten wir über zwei Jahrzehnte Erfahrungen in der Stahlrohmöbelproduktion aufzuweisen und wussten, dass wir nun erst richtig loslegen konnten. An Phantasie, Know-how und konkreten Ideen mangelte es nicht, um recht bald ein anständiges Sortiment auf die Beine zu stellen”.

Alsbald fand sich denn auch unter “Fröscher, Eisleben” das Geschäftsführergespann Thomas Fröscher und Gerhard Winkler. Von dieser Neustart-Episode spricht der Eislebener heute noch immer mit wehmütiger Sympathie. Was sich so prompt und vielversprechend anließ, endete 1995 dann doch mit dem Konkursantrag, wie so viele ähnliche ost-westdeutsche Treuhandtransaktionen. “Leider waren wir für das große, eingefahrene Unternehmen Fröscher auch wieder nur fünftes Rad am Wagen…”

In dieser Situation, in der für so viele andere ostdeutsche Mittelstandsbetriebe nun das Ende vorprogrammiert war, kam den Eislebenern das sprichwörtliche Glück der Tüchtigen zu Hilfe. Landesregierung, Bank und Sequestor boten ihnen an, auf eigenen Füßen weiterzumachen. Zweiter Start also, mit der Gründung einer Auffanggesellschaft. “Nach einem Jahr haben wir dann den Betrieb gekauft. Auf Pump. Wie sonst. Aber offenbar schätzte man uns als kreditwürdig ein, und dafür hatten wir ja wirklich viel getan. Sicher auch mit dem Mut der Verzweiflung, aber vor allem in dem festen Glauben an uns selbst.”

Von Anfang an investierten Geschäftsleitung und Mitarbeiterteam des nun project GmbH heißenden Unternehmens aber nicht nur in zukunftsorientierte neue Fertigungs- und Vertriebskonzepte, in konkurrenzfähige Technologien und deren optimale Beherrschung. Was project in seiner Wiedergeburtsphase von vielen anderen Firmen(resten) in den neuen Bundesländern augenfällig unterschied, war die sofortige Umsetzung eines anspruchsvollen Image-Konzeptes, die komplexe Integration des Markt- und Kulturfaktors Design in das neue Management. In den Werkstätten und –hallen waren nicht nur logistisches und technologisches Umkrempeln und Umdenken angesagt, sondern das gesamte Firmen-Erscheinungsbild vom Arbeitsplatz bis zur Visitenkarte und zum Auftritt ihres Besitzers erfuhr eine gründliche Revision, ja nachgerade eine Kulturrevolution.

Eine Ehrenplakette im Foyer des ehemaligen Kupferschacht-Verwaltungsgebäudes kündet davon, dass die Neugestaltung des Betriebskomplexes 1995 mit dem Architektur-Preis des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet wurde. Die Juroren begeisterte vor allem das hohe Maß an Transparenz, das sie in dem alten Gründerzeit-Backsteinbau vorfanden, bis in die sachlich-klare Ästhetik des Orientierungs- und Beschriftungssystems hinein. “Früher waren hier viele kleine Büro-Kabüffchen, abgeschottet von der Fertigung. Wir haben jede Menge Wände herausgenommen, Glas stattdessen herein. Auch und gerade zum Produktionsbereich hin.”

Eine “offene Atmosphäre” will das Unternehmens demonstrieren – aber eben nicht nur als Äußerlichkeit. Die Architektur kommuniziert und praktiziert sie: “Die Sichtachsen zwischen Verwaltung, Fertigung und Produktausstellung verbinden optisch, was nun einmal zusammengehört. Und wir betrachten diese Transparenz nicht zuletzt auch als ‚vertrauensbildende Maßnahme‘ gegenüber unseren Kunden. Nichts überzeugt sie von unserem gesamtheitlichen Qualitätsversprechen mehr als der Blick von der umlaufenden Galerie in den Betriebsorganismus, vom Rohstahllager bis zum Showroom.”

Die Galerie ist so ziemlich das einzige bewusst Erhaltene aus den alten Bergmannszeiten, neben einem Wandfries der sechziger Jahre im jetzigen Auslieferungsbereich, auf dem fröhliche Kupferkumpel die Möbelbauer von heute grüßen – mittlerweile wieder über 70 an der Zahl, doppelt so viele wie beim Neustart. Die haben nach der tiefgreifenden Reorganisation und Neuorientierung des Unternehmens auch wieder gut lachen. Besonders zwischen Mai und September läuft die Produktion auf Hochtouren, müssen sogar Saisonkräfte angeheuert werden: “Da haben wir alle Hände voll zu tun mit der Fabrikation und Auslieferung unserer Schulmöbel, um die wir uns per Ausschreibungsverfahren im Frühjahr in den Bundesländern bemühen – zunehmend erfolgreich.”

Das unerbittlich qualitätsorientierte Schulmöbelgeschäft ist tragende Säule des heutigen Firmenprofils von project. “Wir haben mit dem Neuanfang 1995 sofort eine konsequente Produktbereinigung vorgenommen und uns schwerpunktmäßig auf den Bildungsmarkt orientiert: Schulen, Hochschulen, Weiterbildungseinrichtungen”, verrät Geschäftsführer Winkler. Konzentration auf das Machbare und dies aber mit aller qualitativen Konsequenz, das war und bleibt unsere Devise – und unsere große Chance, neben den Großen der Branche zu bestehen.”

Qualitative Konsequenz à la Eisleben heißt zum einen: intelligentes, eigenständiges Design. “In zunehmendem Umfang Eislebener Produkt-Familiencharakter repräsentieren”, umreißt das Gerhard Winkler. “Von Anfang an haben wir uns gesagt, wir können uns nicht nur über den Preis verkaufen. Zumal wegen der Öffnung osteuropäischer Anbietermärkte wäre da nicht mitzuhalten. Also – Alleinstellung durch Unverwechselbarkeit in Form, Farbe und Funktion, vom einzelnen Stuhl bis zur kompletten Einrichtung, alles möglichst aus einer Hand und dies in absoluter Solidität, mit langlebigen Anspruch.” Ein besonderes Anliegen gerade auch, was das Schulmöbelangebot von project betrifft. Das werde nämlich allgemein immer noch “ergonomisch sträflich vernachlässigt”, selbst von Marktführern, sagt Winkler.

Eine Reaktion auf diesen Missstand war die Entwicklung des “mitwachsenden” Schülerarbeitsplatzes “molto-flex”, 1997 mit dem “marianne-brandt-preis für design” des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Stuhl und Tisch können den Schüler von der ersten Klasse bis zum Abitur begleiten, und zur veränderten Sitzhöhe passt sich die Rückenlehne, ergo Sitztiefe, automatisch auf optimale Weise an – ein echtes Eislebener Patent. Das Design dafür, wie auch jenes aller anderen project-Produkte, kommt aus dem hauseigenen Konstruktions- und Gestaltungsatelier “project Creativtem”, als dessen gelegentlicher Berater der Berliner Designprofessor Helmut Staubach fungiert.

Allein die heutige Schulmöbel-Palette der Mannschaft um Gerhard Winkler umfasst mehrere Dutzend Tisch- und Stuhl-Varianten, hier ist project längst der führende ostdeutsche Anbieter, wie mittlerweile übrigens auch bei Mehrzweckstühlen und Büromöbeln für Erwachsenen-Bildungseinrichtungen. Und waren Mitte der neunziger Jahre die neuen Bundesländer auch mit weitem Abstand Hauptabnehmer, so hat sich dies indessen deutlich verändert. Mehr als die Hälfte der Produktion geht heute in die alten Bundesländer und in den Export, vor allem nach Nordrhein-Westfalen und Bayern, aber auch Bestellungen aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Norddeutschland nehmen deutlich zu.

Neben der offenbar überzeugenden, so innovativ wie langlebig-funktional orientierten Designstrategie wacht man in Eisleben streng über eine zweite unternehmerische Konsequenz: “Wir pflegen eine moderne, flache Organisation im Hause”, unterstreicht Winkler, “und sind bei aller optischen Transparenz informationstechnisch komplett vernetzt. Der Kunde hat im Regelfall innerhalb von fünf Tagen seine Auftragsbestätigung und weiß, wann er beliefert wird. Dabei nehmen wir einen Auftrag über ein Stück genau so wichtig wie einen über eintausend.” Da macht sich die Geschäftsführung auch schon mal unbeliebt mit ihrem Hang zur Transparenz im Hause: Wie oft muss ein Kunde anrufen, wie oft wird er vom einen zum anderen weitergereicht, sind Zuständigkeiten klar definiert – “das sind für uns keine Kleinigkeiten, erst im guten Klima solider Kundenbetreuung kann die Saat eines noch so fabelhaften Designkonzeptes aufgehen.”

Von den Fenstern der Geschäftsleitung geht der Blick weit hin über die im Tal liegende Lutherstadt. In der Ferne hinter den Hügeln über ihr liegt Bad Blankenburg. Dorthin hat die project GmbH jetzt sogar expandiert. “Wir haben den bisherigen, kränkelnden Zulieferer mit seinem Sortiment an visuellen Einrichtungen, Schränken und Spezialmöbeln erworben, um zum einen unserem Marketing-Grundsatz ‚Alles aus einer Hand‘ noch besser gerecht werden zu können. Zum anderen aber sind wir damit nun in der Lage, einen nächsten Schritt zu tun: in Zusammenarbeit mit Architektenbüros künftig auch Millionenobjekte anzugehen.”

Das klingt fast so, als liefe der Laden nun, fünf Jahre nach Neuanfang, schon gänzlich sorgenfrei. Aber dem will Gerhard Winkler nicht so uneingeschränkt beipflichten. “Viele Betriebe hier im Osten brechen gerade in der Phase einsetzender Konjunktur weg, weil sie nicht in der Lage sind, den Zuwachs zu finanzieren. Wenn wir in Größenordnungen auch weiterhin in Fertigungstechnik und in Märkte investieren wollen und müssen, dann ginge das überhaupt nicht ohne die Unterstützung unserer bisher immer sehr kooperativen Hausbank, der Commerzbank AG in Halle. Zumal üblicherweise der Branchenindex Möbelindustrie und obendrein die Größenordnung Mittelstand für Kreditinstitute nicht gerade bevorzugte Kunden sind.”

Warum dann aber das anhaltende Wohlwollen ausgerechnet gegenüber den Eislebenern auf ihrem alten Schachtgelände? Nicht von der Hand zu weisen, dass das wohl viel mit dem Image zu tun haben muss, das da oben am Fuße der Abraumhalden mit Umsicht gepflegt wird. “Es ist eben nicht das eines Billiganbieters”, sagt Winkler lakonisch. Und Schubladen, in die etwas gelegt würde, seien nun mal wichtig. Gerade auch bei Bank-Schreibtischen.

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(Beitrag für „Mensch & Büro“, Stuttgart 2000, gekürzt erschienen)

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