Vor vier Jahren, einen verrückten Christo-Sommer lang, war das Reichstagsgebäude schon einmal fein in Schale. Nun, an der Jahrtausendschwelle, präsentiert es sich, wie vom Bauausschuß des Bundestages beschlossen, als rundum und vor allem innen erneuerter Parlamentssitz der Berliner Republik. Bevor nun im September der politische Dauerbetrieb im „Plenarbereich Reichstag“ aufgenommen werden konnte, waren aber nach der offiziellen Schlüsselübergabe im April noch einige zusätzliche „Haus-Aufgaben“ zu erledigen. Einige davon schwanten dem Berliner M&B-Korrespondenten bereits, als er vor einem halben Jahr das Parlamentsgebäude durchstreifte. Günter Höhne über Licht und Schatten unter Sir Norman Fosters Kuppel.
Von Günter Höhne
Es war zu befürchten: Weder die im Hause verstreute „Kunst am Bau“, wie etwa die von einem russischen Maestro vorgenommene folkloristisch-ironische Ausmalung des Clubraums im südlichen Eckrisalit der Westseite des Gebäudes, noch die Verlegenheitsreaktion von Bundestagspräsident Thierse beim ersten offiziellen Rundgang am 18. April „Da müssen eben die Abgeordneten farbigere Reden halten!“ vermochten die den fertiggestellten Reichstag beäugenden Politiker zu besänftigen. Fade, freudlos erschien vielen, was ihnen da als angemessene Arbeitsumwelt zugedacht worden. Wie war es doch in Bonn vordem unter Behnischs Dache angenehm: in jenem Ambiente spielerischen Dialogs zwischen transparenter technischer Eleganz und naturhaft-frohsinniger „Vogelnest“-Wärme. – Hier aber nun: Grau in Grau Tisch’ und Stühle, kahle, kalte Wände in den Fraktionsräumen, zulackierte farbige Holzpaneele, textilbelegter Berliner Beton unter den Füßen anstatt des gewohnten, viel zitierten Bonner Parketts… [paycontent]
Dabei hätte es Foster liebend gern noch spartanischer gehabt. Zu „seinem Reichstags-Blue“ der Plenarsaalsessel mußte er erst durch die Abgeordneten gedrängt werden, denen es mit dem ursprünglich geplanten Abermals-Grau nun endgültig zu bunt wurde, und als er damit auch schon am Ende seines Farblateins war, delegierte er die verlangte weitere Mindest-Auskolorierung des Baus an den dänischen Dekorateur Per Arnoldi. Dem fiel zumindest ein, „jedem Geschoß seine individuelle Türfarbe zuzuweisen“, wie die Bauherrin Bundesbaugesellschaft Berlin nun stolz vermelden konnte: Melonengelb im Erdgeschoß, Starkblau im ersten und Dunkelgrün im Zwischengeschoß, Dunkelrot darüber und auf der Dachebene – endlich wieder – die Hausfarbe Grau.
Bloß gut, daß wenigstens die nun schon weltberühmte Kuppel alles herauszureißen scheint (die ja aber eigentlich auch nicht Fosters Ding ist, wollte er sie doch anfangs partout nicht). Aber mit dem Scheinen und dem Sein ist es auch hier so eine Sache: Scheint nämlich am Himmel von Berlin die Sonne nicht (und das ist öfter der Fall, als den Berlinern lieb ist), dann haben die famosen Lichtumlenkspiegel nur Wolkengrau in den Plenarsaal zu lenken. Da das aber sowieso als Farbe den Reichstag beherrscht, dürften sich die Abgeordneten hier womöglich bald wie im Himmel fühlen. Das soll ihnen ja auch zu gönnen sein. Nur dumm, daß nach einigen heftigen Sommergewittergüssen eine konstruktiv bedingte Kuppelöffnung auch Regenwasser ins Innere weiterleitete.
Trotzdem oder gerade deshalb konnte in den vergangenen Wochen im „Plenarbereich Reichstagsgebäude“ von Sommerloch keine Rede sein. Um bauliche und ästhetische Korrekturen angesichts solcher Nutzer-Urteile wie „gewöhnungsbedürftig“ (Bundestagspräsisdent Wolfgang Thierse) und gar „schrecklich“ (Achitekturexpertin und Baukommissionsmitglied Franziska Eichstädt-Bohlig von den Grünen) vorzunehmen beziehungsweise nachzuarbeiten, war von Mai bis August des Bohrens, Stemmens und Hämmerns kein Ende. Was da aber nun heraus- oder hineinkam, darüber wollte bisher nichts an die Öffentlichkeit dringen. Gespannt darf man auch sein, wieviele der von Foster beim Reichstags-Umbau wieder freigelegten und konservierten russischen Graffiti aus den Tagen der Erstürmung im Mai 1945 noch zu sehen sein werden. War doch selbst Frau Eichstädt-Bohlig nach der Erstbesichtigung im Frühjahr „irritiert“ von der Vielzahl der Kritzeleien und hatte der CSU-Abgeordnete Wolfgang Zeitelmann gar gefordert: „Man müßte hingehen und das mit schwarzer Farbe übermalen!“
Anzunehmen ist, daß jedenfalls das beim Betreten der Besucher- und Pressetribünen spürbare Vibrieren des Fußbodens behoben werden konnte. Andernfalls übertragen uns die hier aufgestellten Videokameras besonders bewegte Bilder aus dem Plenum. Schau’n mer mal. Und hör’n mer mal, was das Gebäude uns dann noch zu sagen hat, das laut Baukommissionsvorsitzendem Dietmar Kansy (so jedenfalls zur Schlüsselübergabe unterm Kuppeldach) „über Jahrzehnte eine stumme Sprache sprechen wird“.
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(Veröffentlichung in Mensch & Büro, 1999; in alter Rechtschreibung belassen)