Augen auf und durch

DDR-Wunderwirtschafts-Ikonen der 60er Jahre in der Kulturbrauerei

 

Als sich Mauer und Stacheldraht zwischen Deutschland Ost und West geöffnet hatten und das Ende der DDR absehbar wurde, schwärmten nicht nur Philatelisten, Numismatiker, Kunsthändler und Bibliophile zur Schnäppchenjagd in das „abgeschlossene Sammelgebiet“ aus. Vor dem mit der angekündigten Wirtschafts- und Währungsunion zu erwartenden Schlußverkauf von HO und Konsum (der sich dann allerdings lediglich zu einer gigantischen Entsorgungsaktion gestaltete) machten sich auch Liebhaber exotischer Alltagsprodukte auf den Weg in die Warenhäuser und Kaufhallen des Ostens. Der erste und einzige große Vermarktungserfolg mit dem letzten Warenkorb der DDR war 1991 zu vermelden und hieß „SED – Design“, ein dickes Bilderbuch auserlesen banaler volkseigener Handelsgüter, bis heute der dümmste Bestseller des Kölner Verlags und seiner Frankfurter Autoren (vom Mainufer, versteht sich). Mittlerweile ist das mehr oder weniger gezielte Sammeln, Vorzeigen und geschäftsmäßige Ausschlachten von DDR-Trophäen und -Alltagsramsch weitverbreitet. Man kann sich in Nostalgie-Kneipen daran berauschen und in „Museen der Alltagskultur“ schauerlich-schön demonstrieren lassen, wie „der DDR-Bürger“ lebte.

Daß es weder „die“ DDR-Jahre noch „das SED-Design“ gab, zeigt jetzt eine in mehrfacher Hinsicht erstaunliche Ausstellung im Nordflügel der Kulturbrauerei Berlin-Prenzlauer Berg. Ihr Titel „Wunderwirtschaft. DDR-Konsumkultur und Produktdesign in den sechziger Jahren“ geht nicht nur satirisch-wortspielerisch auf Distanz zum Wirtschaftswunder-Begriff in der Bundesrepublik der damaligen Zeit. Die Schau bietet zudem hinreichend Gelegenheit zur Verwunderung über eine überraschende – oftmals auch gestalterisch pfiffige – Warenvielfalt. Ja mitunter sind von Publikumsseite her bewundernde, beinahe begehrliche Annäherungen an einzelne Produkte der so vielzitierten „sozialistischen Mangelwirtschaft“ nicht zu übersehen. Und die Besucher strömen seit Freitag nur so in die Räume der „Sammlung industrielle Gestaltung“.[paycontent]

Aus deren einzigartigem Fundus ostdeutscher Industriekulturzeugnisse von 1945 an stammen viele Leihgaben für diese bisher umfassendste und tiefgründigste Ausstellung über eine konkrete DDR-Wirtschafts- und Kulturepoche. Die gemeinsame Exposition der NGBK, des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und der Sammlung industrielle Gestaltung reflektiert anhand von mannigfaltigen Zeitzeugnissen in Produktgestalt, Bild, Schrift und Ton das erste Dezennium hinter der Ostseite der Mauer, das von Parolen wie „Störfreimachung“ und „sozialistische Nationalkultur“ geprägt war, aber auch, so die Initiatorin der Ausstellung Ina Merkel, „von einem unbändigen Willen zur Modernisierung: Waschmaschine, Kühlschrank, Auto und Telefon, Plaste und andere neue Stoffe hielten Einzug in die Lebenswelt.“

Vieles davon ist zu sehen im farbenfrohen und von Klängen aus einem „Schallplattenautomaten“ (so hieß eine sozialistische Juke-Box) berieselten Ausstellungsteil „Konsumkultur“. Aber auch kann man sich hier einen Begriff davon machen, was mit den „1000 kleinen Dingen“ gemeint war, für deren Präsenz in den Läden und Kaufhallen ebenso viele Parteibeschlüsse, Wirtschaftsdirektiven und Wettbewerbsverpflichtungen am laufenden Band produziert wurden. Und beim Wiedersehen mit entschwundenen Verpackungswelten stellt man nicht selten – wie etwa beim „Kuko-Reis“ oder den „Tempo-Erbsen“ – erstaunt fest, daß noch bis weit in die achtziger Jahre hinein, ja bis zur Wende Vertrautes und durchaus als „modern“ Empfundenes bereits in den Sechzigern gestaltet wurde. Geschirr, Hobby-Werkzeug und die WM 66 (der robuste und zuverlässige Trabi unter den DDR-Waschmaschinen) – waren sie nicht noch bis vor kurzem Haushaltsgefährten? Und haben andere Utensilien aus den sechziger Jahren nicht sogar die DDR funktionell und emotional überlebt?

Hein Köster, der Leiter der Sammlung industrielle Gestaltung, hat in den letzten Jahren oftmals erfahren müssen, „daß sehr viele Ostmenschen ihre eigene Alltagsgeschichte nicht oder nicht mehr kennen und den meisten Westleuten jegliche Information über die DDR-Alltagskultur fehlt.“ Der von ihm und seinen Mitarbeitern gestaltete Ausstellungsteil „Produktdesign“ ist jener, wo Besucher aus Ost wie West gleichermaßen ins ungläubige Wundern geraten, ihren Augen kaum trauen wollen: Hier findet sich DDR-Design versammelt, das wirklich auf dem vielbeschworenen „Weltniveau“ stand und auf der V. Deutschen Kunstausstellung 1962/63 sowie der nachfolgenden 1967/68 in Dresden zu sehen und (tatsächlich!) fast ausnahmslos auch im Handel erhältlich war. Manches, wie Clauss Dietels und Lutz Rudolphs Heli-Radio-Bausteinserie in nicht sehr hohen Stückzahlen und nicht sehr lange, anderes, wie Margarethe Jahnys und Erich Müllers stapelbares Preßglasortiment „Europa“ oder Rudolf Horns Hellerauer MDW-Möbelprogramm massenhaft und jahrzehntelang.

Unter welchen teilweise grotesken, ja auch buchstäblich kränkenden Auseinandersetzungen mit einer dogmatischen Funktionärskaste im Partei- und Wirtschaftsapparat solche Designinnovationen das Licht der sozialistischen Welt erblickten und mit welchen gelegentlichen Zugeständnissen an minderwertige Materialsubstitutionen – auch infolge westlicher Boykottmaßnahmen gegen das „Ulbrichtregime“ – , das steht auf dem einen und anderen Informationsblatt der Ausstellung und ist äußerst spannend und detailliert nachzulesen im umfangreichen Katalogbuch, das ebenfalls ein Renner zu werden verspricht.

Günter Höhne

Die Ausstellung ist bis zum 12. 1. 1997 kostenlos zu besichtigen. Das Katalogbuch kostet 35,- DM.

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(Rezension für “Design Report” 1996)

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