Design aufs Podium!

(Ansprache zur Verleihung des 15. Lilienthal Designpreises des Landes Mecklenburg-Vorpommern an der Hochschule Wismar am 23. Juni 2011)

 

Von Günter Höhne

 

Wir stehen vor der Verleihung des diesjährigen und damit des 15. Jahrgangs des Landesdesignpreises Mecklenburg-Vorpommern, des Lilienthal Preises, wobei mir die Ehre und das Vergnügen zuteil werden, durch den Verlauf des Aktes als Moderator zu lotsen. Mein Name ist Günter Höhne, ich bin Kulturjournalist und Designpublizist und selbst glücklicherweise Lilienthal-Ehrenpreisträger von 2007.

Dieses Jubiläum heute ist nicht hoch genug zu schätzen. Erscheint es doch geradezu als ein Wunder, dass ausgerechnet das wohl kaum als industrielles Ballungsgebiet geltende Land Mecklenburg-Vorpommern neben dem Freistaat Sachsen zu den nur noch ganzen zwei verbliebenen östlichen Bundesländern zählt, die heute und regelmäßig seit den frühen Neunzigerjahren Spitzenleistungen der Industrie- und Umweltkultur mit staatlichen Designpreisen auszeichnen.

Warum bloß halten Parlament und Regierung ausgerechnet in Schwerin so unbeirrt an etwas fest, das andere Landesregierungen – und nicht nur im Osten Deutschlands – sang- und klanglos wieder abgeschafft oder gar nicht erst eingeführt haben als vermeintlich überflüssige, vielleicht auch als ein wenig elitär empfundene und dabei Politikerprofil in der Öffentlichkeit nicht unbedingt spektakulär beleuchtende Aktionen? Ich denke, Herr Minister Seidel wird uns das gleich erklären, dieses besondere Faible für eine staatliche, gesellschaftliche Designförderung hier oben im Nordosten.[paycontent]

Mir als Designhistoriker und -kritiker erlauben Sie aber bitte auch eine ganz persönliche Beurteilung der Sache: Es spricht meines Erachtens für eine wirklich außerordentlich beharrliche Weitsicht der wirtschafts- und kulturpolitischen Verantwortungsträger dieses Landes, wenn sie gerade auch dem Design, also der regionalen Produkt-, Umwelt- und visuellen Kommunikationskultur, nicht weniger Aufmerksamkeit und Unterstützung widmen als Belangen der Unternehmensförderung, der Tourismus-, Energie- oder Ökologie-Innovation. Ja: weil Design eben in alle diese Bereiche aktiv stimulierend hinein wirkt, in ihnen funktional-ästhetisch und emotional gestaltend prozessmäßig mitwirkt.

Produkt- und Kommunikationsdesign sind allgegenwärtig, prägen unsere Alltagskultur. Und übrigens ganz egal, ob das nun staatlich gefördert und anerkannt wird oder nicht. In leider gar nicht so seltenen Fällen geschieht dieses gestalterische Dabeisein dann eben auch schon mal eilfertig, routinemäßig, sogar schlampig oder in Form peinlicher geistiger und handwerklicher Entgleisungen.

Dann ist es doch wohl nur weise und ganz und gar nicht lässlich, wenn gute, professionelle, mustergültige Entwürfe für Industrie, Gesellschaft und für individuelle Lust am Gebrauchsgegenstand aufs Podest gehoben, öffentlich wahrgenommen, gefördert und gewürdigt werden so wie heute und hier wieder an der Hochschule Wismar. Apropos öffentliche Wahrnehmung von Produkt- und Umweltkultur, von Design also:

Wann haben Sie eigentlich das letzte Mal in Ihrer Tageszeitung, in Ihrem Radio, in Ihrem Fernseher zu diesem uns alle buchstäblich täglich berührenden Themenbereich eine auch nur halb so eingehende Betrachtung angetroffen wie etwa beim gespreizten Kritiker-Gelaber nach jeder noch so banalen Provinzbühnen-Premiere?

Die Redaktionen sind auch immer noch orientierungslos, wenn sich dann schon mal das Thema Design zu ihnen verirrt – so wie aus dem heutigen aktuellen Anlass. In welchem Ressort sollen sie das denn nun eigentlich unterbringen: Kultur? Wirtschaft? Der Minister spricht – also Landespolitik? Ereignisort Hochschule – vielleicht in diese Themenkiste hinein? So wirklich zwingend muss es eigentlich niemand haben in den Redaktionen. Denn, so die verbreitete Reaktion bei entsprechenden journalistischen Ansinnen: Da fühlen wir uns nicht zuständig, damit befassen wir uns nicht wirklich, das ist uns zu speziell. Gehen Sie doch mal zu den Kollegen von der Wirtschaft (so der Kulturredakteur), gehen Sie doch mal zu den Kollegen vom Feuilleton span style=“font-style: normal;“>(so der Wirtschaftsredeakteur) und so weiter.

Ja sind die guten Leute denn blind, taub, hand- und kopflos? Haben sie nicht täglich Umgang mit Design, mit irgendwie und von irgendwem gestalteten Alltags-Gerätschaften, mit zweckdienlichen oder eben auch irreführenden grafischen Botschaften, gestalteten und verunstalteten öffentlichen Plätzen und Einrichtungen, Verkehrsmitteln und so weiter und so fort? Was daran um Himmels Willen ist für mich als dem ausgelieferten Nutzer (also auch als Redakteur) „zu speziell“, um mich damit zu befassen? Ich tu’s doch tagtäglich, ob ich will oder nicht!

Allerdings und andererseits: Designer selbst sind natürlich Spezialisten – und zwar Spezialisten sehr oft fürs Universelle, sollten es jedenfalls sein. Dazu haben sie studiert, praktiziert und sich lange genug an den Dingen, ihrer Funktion und Erscheinung, ihrem Wesen und Unwesen gerieben. Die von ihnen gestalteten Produkte und Dienstleistungen aber – die reden doch am Ende eine klare, jedem verständliche Sprache, von uns als Nutzern reflektiert in einer ganz simplen Werteskala: zwischen „Spitze“ und „Mist“.

Warum aber findet Design dann nicht den ihm gebührenden Platz kritischer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit? – Auch weil wir alle hier zusammen zu einem gehörigen, ja entscheidenden Teil selbst mit daran Schuld tragen. Als Design-Lehrende, -Studierende, als Designtheoretiker und -kritiker und, ja, auch als Designpolitiker. Wir sind es doch selbst, die viel zu unreichend öffentliche Podien zum Vorführen und Diskutieren zuwege bringen, gesellschaftliche Plattformen organisieren für die Auseinandersetzung mit Design, seinen Prozessen, Wirkungen, Segnungen, Irrungen und Wirrungen.

Ja, da haben wir heute wieder einmal so eine schöne Veranstaltung, alle Jahre solch eine Leistungsschau, neuerdings von einem Symposium eingeleitet. Das ist schon mehr als anderswo üblich. Wobei wir aber auch hier wieder einmal unter uns bleiben, nicht wahr liebe „Designspezialisten“? Wer unter uns hier ist beispielsweise Verfahrenstechniker? Wer Einkäufer und wer Warenhaus-Chef? Wie viele Unternehmer, die nicht mit einer Designpreis-Trophäe heute rechnen können, nahmen am Design-Symposium teil? Und hallo – wie viele Medienleute lauschten den Referaten?

Wie gelingt es uns, die vielen Partner im Produktzyklus, vom Technologen über den Handwerker bis hin zum Konsumenten und zum Mülltrenner als unsere Partner im Designprozess zu gewinnen?

Was muss geschehen, damit die Verleihung des Lilienthal-Designpreises nicht das einzige Leuchtfeuerchen hier oben an der Küste bleibt, das Orientierung spendet für den Kurs zu Design mit Verstand und Schick?

Ich will Ihnen an dieser Stelle auch ganz ehrlich sagen, worin ich ein Manko in der bisherigen Praxis der Ausrichtung und öffentlichen Darstellung Ihres segensreichen Landesdesignpreises sehe, das ich selbst allerdings erst jetzt erkannte, da ich mich aus verschiedenen Gründen etwas eingehender mit dem Problem „Wahrnehmung von Design in Deutschland“ befasse: Ich frage mich, wie und wo behalten wir eigentlich morgen und übermorgen im Auge, im Sinn, was hier heute vorgestellt, ausgezeichnet wurde? Was ist denn aus den Preisträger-Beiträgen der vergangenen Jahre geworden? Wo und wie sind die Entwürfe zum Tragen gekommen, haben sie Fuß in der Gesellschaft gefasst? Was unter ihnen hat sich womöglich als von grundsätzlicher Beispielhaftigkeit erwiesen, weit über das Auszeichnungsjahr hinaus? Hat die Designauszeichnung den Gestaltern und Produzenten nachhaltiges Ansehen, Marktvorteile gebracht? Wer dokumentiert so etwas? Wie popularisieren wir das? Ja wo ist überhaupt die Tradition des Designs der Moderne in Mecklenburg-Vorpommern erkennbar aufgehoben? Die gesellschaftliche Wirkung von Produkt- und Kommunikationsdesign plausibel dargestellt? Gehört nicht auch die Produktkultur- und Architekturgeschichte der Region – wenigstens die des Industriezeitalters – dauerhaft, zentral und komplex als eigene Disziplin öffentlich ausgestellt? Und zwar nicht nur in einer Alibi-Ecke von Kunsthandwerk- oder Technik-Museen.

Es existiert in Dresden seit 99 Jahren ein Deutsches Hygiene-Museum, in Leipzig seit rund 50 Jahren ein Deutsches Sportmuseum, im fränkischen Städtchen Feuchtwangen ein Deutsches Sängermuseum – nirgendwo in der Bundesrepublik ein Deutsches Designmuseum. Warum nicht? Und warum nicht womöglich in Wismar oder Schwerin?

Ich höre jetzt geradezu manchen von Ihnen denken: Naja, mein Lieber, haste’s nicht ’ne Portion kleiner… Nun gut, wende ich mich zum Schluss da an das Haus selbst, in dem wir versammelt sind: Liebe Gastgeber – wie halten Sie es mit Ihrer eigenen Traditionspflege? Wo befindet sich Ihre „Hall Of Fame“, Ihre Darstellung der Erfolge und Persönlichkeiten der immerhin ersten in Ostdeutschland nach dem II. Weltkrieg gegründeten Design-Schule?

Designfortschritt geht auf zwei Beinen: Erneuerung und Erbe-Bewusstsein. So, wie eine realistische Design-Perspektive auch erst mit zwei Augen zu überschauen ist: mit Vorhaltemaß und mit Nachhaltigkeit im Blick.[/paycontent]

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