Gut geformter Osten

Dietel/Rudolph-Werkschau erstmals in ganzer Bandbreite

„RDS? Haben wir schon!“ hätte es bereits 1968 in der DDR heißen können. Die Rundfunktechnik, mittels derer auf Zusatzfrequenzen Informationen über das aktuelle Senderprogramm mit übertragen werden, war nämlich auch in Ostdeutschland so gut wie fertig entwickelt. Und ebenso der erste Heimempfänger dafür, der „Programat“ des mittelständischen „halbstaatlichen“ Edelradioherstellers HELI im erzgebirgischen Limbach-Oberfrohna. Per Wahltastendruck auf „Information“, „Jazz“, „Klassik“ oder „Sport“ hätte man automatisch die Sender mit dem entsprechenden laufenden Programmangebot aufrufen können. Hätte – denn die Überleitung des Prototyps in die Serienproduktion wurde von höchster Stelle untersagt. „Programat“ hatte nämlich einen fatalen ideologisch-programmatischen Makel: er konnte nicht zwischen DDR- und Westsendern unterscheiden. Das war viel gravierender als das bei den staatlichen Begutachtern auch nicht gerade auf helle Begeisterung stoßende neuartige, sehr eigenständige Radiodesign. So ein Rundfunkgerät hatte man noch nicht gesehen – das aussah wie eine Kleinschreibmaschine oder eine Wechselsprechanlage (letztere war es ja auch in gewissem Sinne).

Hinter Idee und Entwurf des Produktes stand das ostdeutsche Industrieformgestalterduo Clauss Dietel/Lutz Rudolph. Sein umfangreiches, 40 Jahre umfassendes freiberufliches Gesamtwerk von A wie Architektur bis Z wie Zittauer und Zwickauer Automobilentwürfe ist jetzt in einer überhaupt ersten dermaßen umfassenden Retrospektive mit dem Titel „Gestaltung ist Kultur“ im Berliner Museum Sammlung industrielle Gestaltung zu sehen. Dietel und Rudolph, schon als Studenten an der damaligen Hochschule für bildende und angewandte Kunst Berlin-Weißensee Ende der 50er Jahre ein Team, verkörpern in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme unter den ostdeutschen Formgestaltern. [paycontent]Musste deren Mehrzahl trotz mitunter jahrzehntelangen und achtbaren Wirkens doch weitestgehend im Anonymen verharren, weil zu über 90 Prozent „kollektiv“ in der sozialistischen Staatswirtschaft fest angestellt. Clauss Dietel und Lutz Rudolph hingegen wirkten seit den 60er Jahren als Freiberufler, die sich hartnäckig nicht nur einen zunehmend be- und geachteten eigenen Namen erstreiten konnten, sondern auch so manche Lanze brachen für ihre wenigen anderen freischaffenden Kolleginnen und Kollegen in der DDR (ganze 7 Prozent in der Branche). Wobei sie sich auch mal den einen und anderen Splitter in die Hand rissen und besonders für die Funktionäre des staatlichen Amtes für industrielle Formgestaltung (AIF) zum roten Tuch wurden. Nur mit spitzen Fingern und auf Druck des Verbandes bildender Künstler der DDR erhielten beide als „Gestalterkollektiv“ 1984 – längst überfällig – vom AIF die Medaille „Designpreis der DDR“ angeheftet. Ein Jahr darauf durften sie auch eine erste Werkausstellung in Karl-Marx-Stadt zeigen, von wo aus seit Ende den 60er Jahren ihr „Kollektiv 3 f – produktform und umweltgestaltung dietel•rudolph•von amende“ agierte. Das heißt – Dieter von Amende nicht mehr, der hatte sich schon Mitte der 70er Jahre, frustriert von den Ostberliner Apparatschiks, in den Westen abgesetzt.

Was 1985 nicht ausgestellt werden konnte (zutreffender: durfte) ist es vor allem, das nun selbst den Kenner des Dietel/Rudolphschen Œuvres (vom Maschinen- und Fahrzeugdesign über Stadtmöbel- und Informationssysteme und viele Konsumgüter, darunter Leuchten und die legendären HELI-Radios, bis hin zu komplexesten CI-Entwicklungen) in der jetzigen Berliner Ausstellung in seinen Bann schlägt: Erstmals sind hier auch die vielzitierten und nie produzierten Pkw-Prototypen der Trabant- und Wartburg-Weiterentwicklungen blechhautnah zu betrachten – sensationelle antizipatorische ostdeutsche Fahrzeugdesignleistungen der 70er und frühen 80er Jahre, bis zur „Wende“ in Zwickau und Eisenach strengstens unter Plane und Verschluss gehalten, gottlob aber danach nicht „entsorgt“, wie so manches andere.

Ebenfalls erstmals gezeigt: Produktentwicklungen sowie Architektur- und Innenraumaufträge, die in den letzten 15 Jahren realisiert wurden. Dietel/Rudolph, beide im „Rentenalter“, geben sich heute noch längst nicht der Altersruhe hin. Wobei es in der Berliner Ausstellung auch „nicht gut Angekommenes“, ja nicht einmal einer öffentlichen Diskussion für würdig Befundenes zu sehen gibt, das im neuen Deutschland entstand – so etwa Dietels Gestaltungsentwurf für eine „Frauenkirche Dresden nach Auschwitz und Krieg“ von 1995/98. Er lässt den wiedererrichteten Bau vom Boden bis zum Sockel der Kuppel von einem schmalen weißen, transluzenten Band aus Carrara-Marmor „anschneiden“, Querschnitt von deutscher und europäischer Geschichte anstatt Glättung anmahnend. Eben: „Gestaltung ist Kultur“, nicht Styling und auch nicht „das idealistische, endliche Betrachten der Dinge und der Begriffe von ihnen“ – so Clauss Dietel in einem Aufsatz vor genau 30 Jahren.

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(Rezension in „Design Report“, 2003)

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