Teil vom Ganzen

Ansprache zur Ausstellungseröffnung „gebrauchs gut – Ostdeutsches Design mit Tradition“ im Kestner-Museum Hannover 2005

 

Verehrter Herr Oberbürgermeister,

liebe Gastgeber für diese Ausstellung,

Freunde und Förderer des Museums,

Sponsoren

– und nicht zuletzt:

liebe angereiste Urheber so einiger der Hauptdarsteller auf dieser Bühne ostdeutscher Designgeschichte und Gegenwart,

Weggefährten und Freunde also.

Wir schreiben den 31. August. Heute sollte ein Geburtstagskind unter uns sitzen, einer der gestalterischen Akteure des hier vorgestellten Gebrauchsguts, 64 Jahre alt: Michael Stender, bis 1990 fünfzehn Jahre lang Chefdesigner im Kombinat Stern-Radio Berlin. Sie werden seinem Namen in einigen Vitrinen hier des öfteren begegnen. Mitte Juni saß ich bei ihm in seiner Wohnung, und akribisch, wie er es seine Art war, hatte er die Dinge bereitgestellt und dokumentiert, die ich als Leihgaben für diese Ausstellung brauchte.

Am 28. Juli haben wir ihn begraben. Tumorbefund, er starb innerhalb weniger Wochen.

Michael Stender steht in spezifischer Hinsicht für eine meiner Überlegungen, diese Wanderschau ostdeutschen Designs mit Tradition zu realisieren. Er, Träger des letzten Jahrgangs des Designpreises der DDR, schuf viele Jahre lang höchst anständige und massenhaft in Gebrauch genommene Produkte, deren Bezeichnung jeder, deren Urhebernamen aber keiner kannte. Gestalterinnen und Gestalter in der DDR hatten so gut wie keine Chance, sich buchstäblich „einen Namen zu machen“. Sie waren Kollektivmitglieder, meist jedenfalls, und sie kannten weder Royalties, noch hatten sie eine Lobby in Form konkurrierender Designmedien oder einschlägiger Berufsverbände, schon gar keinen Etat für eigene Promotion. Sie waren Individualisten und Idealisten wie die meisten Designer der Welt, aber ihr Design war mehr als sonst irgendwo anonyme Dienstleistung.

Ich hoffe mit dieser Ausstellung und den in ihr so vollständig wie möglich von mir benannten Urhebern die Anonymität ostdeutscher Gestaltungsexperten ein wenig zu lüften – und die Anonymität ostdeutschen Designs, das über Jahrzehnte auch in der Bundesrepublik Deutschland und in einer Reihe westeuropäischer Länder im Gebrauch war, allerdings meist ohne Hinweis auf seine Herkunft. Einiges davon werden auch Sie bestimmt hier wieder entdecken können. [paycontent]

Weder in diesem Punkt noch in irgend einer anderen Hinsicht geht es mir aber darum, sozusagen „endlich und speziell“ DDR- bzw. ostdeutsches Design zu beleuchten („gebrauchs gut“ streift Gestaltungsartefakte und vor allem auch Design-Prozesse von 1945 bis in die Gegenwart, also auch vor und nach der DDR). Nicht eine posthume Ehrenrettung soll hier stattfinden und schon gar keine ostalgische Exotenschau – vielmehr will ich Gemeinsames in der deutschen Designkultur zu sehen und zu bedenken geben:

Design in der DDR war deutsches Design, unter besonderen gesellschaftlichen und politökonomischen Rahmenbedingungen geschaffenes. Auch Anonymität war (und ist heute) schließlich ein gemeinsames typisch deutsches Designer-Problem, in der DDR freilich verschärft.

Auch heute ist in Deutschland kaum ein Dutzend Designer mit Namen bekannt. Und das allenfalls in der Fachwelt und in der Special-Interest-Medienszene. Fragen Sie mal den einfachen Braun-Wecker-Anwender, wer Dieter Rams ist. Fragen Sie mal nach EINEM spontan zu nennenden Designer-Namen, den Deutsche kennen. Collani wird man Ihnen bestenfalls sagen.

Was in den DDR-Jahrzehnten aber eigentlich am verhängnisvollsten in puncto Design-Anonymisierung zentralistisch betrieben wurde, betraf neben den Gestaltern die Produzenten und deren oftmals traditionsreiche Markenprodukte.

Bewährte mittel- und ostdeutsche Industrie- und Konsumgütermarken wurden durch modische Allerwelts-Kunstwörter, Warenzeichenkürzel wie AKA electric, FORON oder Robotron ersetzt oder von auf keiner Visitenkarte unterzubringenden Betriebsbezeichnungen abgelöst.

EIN krasses Beispiel: REISS war (und ist heute gottlob wieder) ein deutsches Marken- und Standardsynonym. Der Büroeinrichter Reiss im brandenburgischen Bad Liebenwerda, vor über 120 Jahren gegründet, entwickelte nach der Jahrhundertwende die ersten an den Nutzer anpassbaren Schreibtische, und seine Massenerzeugnisse für Büro und Haushalt gingen in den deutschen Wortschatz ein: das Reissbrett, über das die Reiss-Schienen liefen oder der Reiss-Rechenschieber (alle drei hier bei „schreib lust“ zu sehen).

1981 wurde eine Laufwagen-Zeichenmaschine von Reiss – eben jene hier – mit der DDR-Auszeichnung Gutes Design dekoriert. Die Betriebsbezeichnung des Herstellers im Auszeichnungskatalog lautet:

„VEB Robotron-Elektronik und Zeichengeräte Hoyerswerda im VEB Kombinat Robotron“. Punkt und Schluss. Kein REISS in der Nennung.

REISS verschwand so aus dem Marken-Bewusstsein der Nutzer, und der gute Name musste von dem nach der Wende privatisierten Unternehmen mühevoll wieder auf den Markt eingebracht werden. Mit Erfolg übrigens, der auch und gerade hier in Hannover beweisbar ist: die Firma REISS Büromöbel GmbH, Bad Liebenwerda, ist sozusagen „Hoflieferant“ für die Stadtverwaltung Hannovers.

– Bei dieser Gelegenheit: die Schulmöbel herstellende Eislebener project GmbH, ebenfalls in dieser Ausstellung mit Altem und Neuem vertreten, rüstet auch Hannoversche Bildungseinrichtungen mit ihren Produkten aus…

Ein dritter und letzter spezifischer Aspekt, unter welchem anonymes Design aus der DDR zu betrachten ist, betrifft massenhafte Qualitätsware (auch Designqualität verkörpernd), die aus der DDR in die Welt hinaus ging, ohne dass die Herkunft dieser Dinge zu ahnen war:

Ostdeutsche Omega-Staubsauger wurden fürs Versandhaus zu deutschen Privileg-Geräten wie auch Schreibmaschinen und Haushaltgeräte, Ostberliner Stern-Radios und Staßfurter RFT-Fernseher und Zittauer Plattenspieler zu Hamburger Bruns usw.

Was Designer in der DDR entwarfen, wurde sozusagen anonym vom staatlichen Außenhandel zum Fenster Richtung Westen hinausgeworfen, Rechte an ihren Entwicklungen hatten sie keine. Und auch keine Rechtsvertretung, wenn etwa ihre in der DDR vorgestellten, aber nicht produzierten Ideen im Westen geklaut wurden. So wie der von Jürgen Peters Anfang der Sechzigerjahre am Ostberliner Zentralinstitut für Formgestaltung kreierte und auf der V. Deutschen Kunstausstellung in Dresden präsentierte Fernsehermonitor auf weißem Empfangsgeräte-Kasten mit drehbarem Sockel, der 1963 als westdeutscher WEGA 2000 seinen Auftritt auf der Berliner Funkausstellung hatte.

Also: gesamtdeutsch waren Ostprodukte schon längst, ehe ab 1990 zusammenwuchs, was zusammengehört – oder auch nicht.

Aber Sarkasmus beiseite: Auf allen bisherigen Ausstellungsstationen, in Leipzig und in Frankfurt am Main und auch hier in Hannover, wurde ich jedesmal von der Presse gefragt, was denn das Typische, das Eigenständige am DDR-Design sei. Noch niemand fragte mich: „Was ist das Gemeinsame des ostdeutschen und westdeutschen Designs?“ trotz 40 Jahren staatlicher Teilung.

Vielleicht finden Sie beim Rundgang ganz von selbst Antworten darauf. Mein Tipp: Beginnen sie unten bei den Vitrinen „stunde null 1945“ und „stunde null 1990“. Da war so exemplarischer gemeinsamer Anfang – und so überraschende ost-westliche Niveau-Ähnlichkeit im Design am Ende der DDR – und dazwischen soll es eine geteilte deutsche Kulturnation gegeben haben? Geben wir den SED-Kulturideologen doch bitte nicht noch nachträglich Recht. Ostdeutsche Designgeschichte ist deutsche Designgeschichte. Und basta.

Danke für diese Ausstellungsmöglichkeit hier in Hannover sage ich nun an das gesamte Team des Kestner-Museums mit seinem agilen Direktor Herrn Dr. Schepers,

ausdrücklich eingeschlossen die für die Öffentlichkeit tunlichst unsichtbaren aber wachsamen Aufsichtskräfte,

eingeschlossen auch die stets im Verborgenen bleibenden Techniker und Handwerker des Hauses, die mitunter wie die DDR-Designer in ihrem Mangelwirtschaftsbetrieb Museum aus Knete Bonbons zu machen wussten.

Und gestatten Sie mir an dieser Stelle letztlich auch, meiner Frau einmal öffentlich Dank zu sagen als ständiger Mitarbeiterin und Sponsorin der Sammlung Höhne und dieses Ausstellungsprojektes.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit, die Sie nun endlich den Objekten hier und einigen ihrer Geschichten widmen dürfen.

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