Torso mit Totaloperation

Marion Godau, Bernd Polster Design Lexikon Deutschland ISBN 3-7701-4429-5 DuMont Verlag, Köln 2000, 384 Seiten; 29,90 DM

 

Vor Jahresfrist konnte der Design Report die ersten beiden in DuMonts neuer Länder-Design-Lexikonreihe erschienenen Bände „Skandinavien“ und „Italien“ loben, und der Verlag zitierte freudig daraus in seiner Sachbuchvorschau zum Frühjahr 2000, den nachfolgenden Deutschland-Band ankündigend.

Für gewöhnlich ist es dem Kritiker nicht unangenehm, solcherart in den Zeugenstand gerufen zu werden. In diesem Falle aber muss er davor warnen, sein Urteil von gestern als Qualitätsgarantie für heute hinzunehmen. Denn was er nun mit „Design Lexikon Deutschland“ zu begutachten hatte, präsentiert sich nur im gleichen äußerlichen Format, ansonsten leider weit unterm Niveau der Vorgänger.

Dabei lässt sich die Lektüre zunächst gar nicht so schlecht an. Paola Antonelli vom Museum of Modern Art, New York, liefert – wie in den ersten beiden Bänden – abermals einen brillanten Miniatur-Essay zum substanziellen Wesen der Landes-Produktkultur, hier unter der Headline „Stahl und Porzellan“. Anschließend gibt es ein bisschen deutsches Jahrhundert-Daumenkino mit Designklassikerfotos. Und auch die mit 1871 einsetzenden Dekaden-Überblicke erscheinen zunächst anerkennenswert. Patchworkartig werden Details und Allgemeingültiges, Produkte, Personen und Prozesse zu mitunter durchaus plastischen Bilanzen gefügt. Zwar fällt da auch schon manches Loch auf sowie dieser und jener Webfehler, aber im späteren Stichwortteil wird manches Vermisste dann doch noch beleuchtet. Ganz überraschenderweise, denn Querverweise, wie in einem Lexikon üblich, fehlen generell.

Das Hauptkapitel „Lexikon“ ist mit „von Adidas bis Zeischegg“ betitelt. Die Überschrift trifft den eingeengten Blickwinkel der Herausgeber genau. Der ist all zu stark auf Firmen, Artefakte und Ateliers der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart gerichtet, aber selbst da zuweilen heftig getrübt. Nichts also beispielsweise zu Heinrich Vogeler oder Xanti Schawinski, aber auch Anton Stankowski oder der Glashersteller Ritzenhoff fanden neben manch anderen Gesuchten keine Aufnahme. Dafür tauchen eigenartige subjektive Wertungen in den Texten auf, so wenn ausgerechnet der technisch wie gestalterisch von der Pike auf gelernte Designer Tassilo von Grolman als „Seiteneinsteiger“ eingeordnet wird.[paycontent]

Geprägt von Auslassungen und wimmelnd von Fehlern dann der Index. Was da z. B. über den Rat für Formgebung und dessen „Vorsitzende“ (die er nie hatte) zu lesen ist, kann an Liederlichkeit kaum noch überboten werden. Wobei sich Auswahl und Darlegung von Sach-Nachschlagbegriffen generell als mangelhaft erweisen: Ausbildung, Designmanagement, Kommunikationsdesign, Public Design, Prozessdesign – absolute Fehlanzeige. Typografie – zwei kümmerliche Seitlein. Gebrauchgrafik und deren zeitgenössische deutsche Vertreter wie Klaus Staeck oder Gunter Rambow – keine Zeile.

Den tiefsten und fahrlässigsten Eingriff unternimmt Bernd Polster als hauptverantwortlicher Herausgeber allerdings mit der Totaloperation des DDR-Designs aus seinem Torso deutscher Gestaltungsgeschichte. Es ist schon atemberaubend, mit welch grotesker Anmaßung er dies auch noch zu begründen versucht (Seiten71/72) und mit welch nachgerade verbissener Ignoranz das durchgezogen wird (Hedwig Bollhagen taucht als einzige und zudem noch als Trotz-DDR-Designerin im Lexikon auf, und in Jena, Kahla oder Dresden-Hellerau beispielsweise wurde nach 1945 offenbar nichts Gestaltetes mehr produziert).

Übrigens: In eingangs erwähnter Verlagsanzeige des Bandes war sehr wohl ein Essay zum DDR-Design angekündigt. Als der Potsdamer Autor Rainer Funke kürzlich sein Belegexemplar (!) zugeschickt bekam, suchte er ihn vergeblich. Auch wohl nicht so ganz die feine deutsche Art.

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(Rezension in „Design Report“, 2000)

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